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Es geht uns gut: Roman

Es geht uns gut: Roman

Titel: Es geht uns gut: Roman
Autoren: Arno Geiger
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zumindest froh, sei’s, weil er statt Gehilfen Gefährten haben, sei’s, weil er für einige Tage dazugehören wird, was er schon seit einiger Zeit nicht mehr empfunden hat. Zwar spürt er auch die Unsicherheit, in die er sich begibt und von der da draußen, in anderen Wetterlagen, wahrscheinlich mehr auf ihn wartet, als er sich vorstellen kann (und seine Vorstellung reicht weit, schon von Berufs wegen). Trotzdem würde er am liebsten unverzüglich ins Haus laufen und mit dem Packen beginnen: Reisepaß, ein Zwischenstecker, Augentropfen, gute Medikamente gegen Durchfall, gegen Alkoholintoxikation – er muß Johanna anrufen, ob sie Empfehlungen hat.
    Ja, sicher, mein Lieber: Einen Reisenden soll man nicht aufhalten.
    Danke.
    Steinwald schlägt die rechte Faust in die offene Linke und verkündet, daß er seinen Hut vom Dach holen müsse, trotz des heraufziehenden Wetters, trotz der Finsternis dieser gärenden Sommernacht. Trotz des staubigen Blaus, das der Vorplatz den Blitzen zurückwirft. Wind kommt auf. In wenigen Stunden, noch vor Morgengrauen, so Steinwald, werde sich der Hut in Böhmen befinden (und wenn nicht in Böhmen, dann bei den Nachbarn, die zu der Feier nicht erschienen sind). Steinwald schleppt mit Atamanovs Hilfe die längste Leiter herbei, die hinter der Garage zu finden ist. Aber die Leiter reicht nur bis knapp unter die Dachrinne. Steinwald knirscht mit den Zähnen. Philipp merkt, daß Steinwald sich nicht so leicht geschlagen geben will. Also regt er an, die Leiter in den Kofferraum des Mercedes zu stellen, in den Kofferraum des Mercedes, in dem er bald mitfahren wird, übermorgen schon.
    – So kann die Leiter um den fehlenden halben Meter verlängert werden, außerdem hat die Leiter im Kofferraum mehr Halt.
    Steinwald schaut Philipp erstaunt von der Seite an, aha, soll das heißen, so dumm, wie ich gedacht habe, ist der Mensch ja gar nicht. Er lobt Philipps Sinn für das Praktische. Philipp freut sich mit großen, glänzenden Augen. Steinwald parkiert den Wagen um, steckt sich die Hosen in die Socken, hängt die Jacke über die offene Wagentür. Dann steigt er mit großer Behendigkeit die Leiter hoch. Und Philipp hinterher. Einfach drauflos. Aus so vielen Gründen, von denen einer den andern so unklar macht, daß Philipp am Ende nicht weiß weshalb. Er arbeitet sich von Schneehaken zu Schneehaken, er will bis ganz hinauf, soviel steht fest, er will bis hinauf zum Giebel und und – – die unter ihm wankende Stadt gründlich auspfeifen!
    Aber dann sitzt er rittlings über dem frisch reparierten First und freut sich nur, verblüfft über den Wirrwarr, in dem er sich befindet, höchst erstaunt über eine ängstliche, ihn gleichzeitig beschämende Glücksempfindung, die ihn nach links und rechts blicken läßt, verwirrt von den dunklen, übereinander- und hintereinandergeschichteten Dächern der Nachbarhäuser, angezogen von den Lichtern der Stadt und von Steinwalds Gesicht.
    Steinwald sitzt ihm gegenüber, den Hut hat er kurz inspiziert und ausgeklopft. Jetzt trägt er ihn wieder am Kopf, eine Hand an der Krempe, vornübergebeugt, so daß ihm der Wind den Hut auf die Ohren drückt, statt ihn von dort wegzublasen. Steinwalds Traurigkeit ist verflogen. Er mustert Philipp, wie dieser ihn. Philipp scheint es, Steinwald ist zufrieden. Die Hochzeitsmusik spielt, sie flattert vom Wind zerfetzt durch den Garten und über dem Garten, den Philipp jetzt gut überschauen kann. Beim Podest des Schutzengels, wo das Feuer zweier Fackeln zuckt, übt Atamanov mit sauberen Bewegungen einige Tanzschritte, er singt dazu. Seine Stimme ist am Dach nur selten und in Bruchstücken zu hören, weil die Töne in alle Richtungen zerstieben. Die ersten Tropfen fallen und verdichten sich rasch. Der Wind läßt kurzfristig nach, frischt gleich wieder auf, wird kräftiger als zuvor. Philipps T-Shirt flattert an der Brust. Aber er sitzt fest im Sattel. Er drückt die Beine an das Hausdach, reckt seine Zwei-Hüftumschwung-Arme in die Höhe und schaut in die Wolken, die vorüberziehen.
    Gleich wird Philipp auf dem Giebel seines Großelternhauses in die Welt hinausreiten, in diesen überraschend weitläufigen Parcours. Alle Vorbereitungen sind getroffen, die Karten studiert, alles abgebrochen, aufgeräumt, auseinandergezerrt, geschoben, gerückt, gerüstet. Er wird reisen mit seinen Gefährten, für die er ein Fremder ist und bleibt, gleich geht es dahin auf den wenig stabilen Straßen der ukrainischen Südsee, gleich geht es
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