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Es geht uns gut: Roman

Es geht uns gut: Roman

Titel: Es geht uns gut: Roman
Autoren: Arno Geiger
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Dachdecker so guter Laune sind.
    Einer ruft:
    – Der Hut steht dem Baum ohnehin besser als dir, für deinen Schädel ist er zu klein.
    Erst in dem Moment begreift Philipp, daß Steinwalds Hut über den Terminaltrieb des Baumes gestülpt ist und auf diese Weise das Hausdach krönt. Steinwald protestiert nicht, lacht auch zaghaft. Aber die Ringe um seine Augen sind plötzlich sichtbarer als sonst, seine Mundwinkel sind etwas herabgezogen und die Schultern zurückgeschmissen. Er weiß offensichtlich nicht, wie er sich verhalten soll. Ein wenig ist es, als schäme er sich des Abdrucks in seinem fettigen Haar, der zeigt, wo der Hut gesessen ist. Er reibt sich wiederholt den Kopf. Einer der Dachdecker beobachtet ihn dabei und sagt zur prompten Bestätigung des Sprichworts vom Schaden und dem Spott:
    – Paß bloß auf, daß du keine Phantomschmerzen bekommst.
    Steinwald schmäht den Dachdecker und einen dicht neben dem Mann stehenden Lehrling mit einigen hinter den Zähnen gemurmelten Schimpfwörtern. Er spuckt aus. Gleichzeitig wird der Arm des Krans eingefahren. Weiterhin lachend kommen die Dachdecker zum Grill, um zu sehen, was es zu essen gibt.
    Sie nehmen sich die ersten Würstchen, öffnen sich schnell mit Hilfe ihrer Feuerzeuge Bier, lecken die Tropfen vom Flaschenhals, springen in den Kranlastwagen und fahren davon, noch ehe die nächsten Gäste eingetroffen sind. Philipp wartet gemeinsam mit Steinwald und Atamanov, ohne viel zu reden (wie meistens) oder besser, Steinwald und Atamanov reden anfallsweise. Philipp hingegen ist nicht nach Reden, weil er Angst hat, daß mit dem Reden etwas kommt, das ihm sagt, wie schlimm es wirklich steht. Es wird allmählich diesig. Ein paar Dämmerungsstrahlen über dem Wienerwald, wo einige Wolken das Licht über dem Horizont auffächern. Dann treten Frau Puwein und Herr Prikopa durch das Tor der Einfahrt und überreichen Philipp eine Flasche Wein, die in Geschenkpapier eingepackt ist, Strohblumenköpfe auf blauem Grund. Philipp könnte sich nichts annähernd so Trostloses ausdenken wie eine Flasche Wein in Geschenkpapier mit einer goldenen Schleife um den Hals. Jetzt, jetzt so richtig, spürt er, wie erbärmlich alles ist, und wenn nicht alles, dann doch so viel, daß der Rest nicht weniger erbärmlich dasteht als das übrige. Er ist nahe daran, die Flasche gegen das Podest zu schmettern und sich mit Flüchen von seiner eigenen Feier zu verabschieden: Nur weg, unter die Bettdecke, ins Kopfkissen beißen. Manchmal tut es einfach gut, ins Kopfkissen zu beißen. Doch da er nicht einmal dazu den Mut aufbringt, wartet er noch eine Stunde, bis ein paar Sterne zu sehen sind. Dann zieht er seine Zigarette ordentlich in Brand und zündet in der Hoffnung, dem Abend auf diese Weise eine andere Richtung geben zu können, sämtliche Raketen, die er geliefert bekommen hat. Sie steigen pfeifend hoch, explodieren mit lautem Knall und werfen farbiges Licht über den Garten, über das Haus, über die Fichte mit Steinwalds Hut, über seine Nachbarn.
    Die Stimmung bleibt dieselbe.
    Steinwald ist unverändert schlechter Laune, die er in seiner eckigen Art mit entsprechend großem Talent demonstriert. Trübselig, kopfschüttelnd, mit sauertöpfischer Miene wirft er Fleisch und Paprikahälften auf den Grill und sieht sich ständig nach Stellen um, wo er noch nicht hingespuckt hat. Wenn Philipp Steinwalds Blick sucht, mustert ihn der verdrossen, ohne zu verhehlen, daß Philipp eine aufs Maul riskiert, sollte es ihm einfallen, etwas Falsches zu sagen. Als Philipp von Steinwald wissen will, woher der seinen Anzug habe – einen allzu weiten und beigen Anzug mit großen Brusttaschen, der Philipp an asiatische Diktatoren erinnert –, murmelt Steinwald unverständliche Worte, die er auf Nachfrage nicht zu wiederholen bereit ist, weshalb Philipp sich den Sinn zusammenreimen muß (Philipps Mutter soll oft gesagt haben: Man kann nur die Faust machen und still sein). Selbst Frau Puwein gegenüber, mit der sich Steinwald beim letzten Mal so gut unterhalten hat, neigt Steinwald zur Kürze, und zwar mit solchem Nachdruck, daß Frau Puwein den Versuch, Steinwald aus seiner Verschanzung zu locken, bald aufgibt. Sie wendet sich Philipp zu und erzählt (ob er es wissen will oder nicht – er will es nicht, weil ihm diese Kleinigkeiten vor Augen halten, wie wenig er weiß, wie wenig er bekommen hat, wie viel er bräuchte, nach wie vor braucht und weiterhin nicht bekommt): Von Alma Sterk, seiner Großmutter, die
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