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Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Titel: Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord
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lag hier seit Monaten. Es war also nicht Clémence.
    Die Männer arbeiteten noch eine Stunde lang, während der Gestank allmählich unerträglich wurde. Danglard hatte sich keinen Zentimeter von seinem tröstlichen Eichenstamm wegbewegt. Er hielt den Kopf nach oben gerichtet. Da oben zwischen den Baumwipfeln sah man nur ein kleines Stückchen Himmel über diesem dunklen Wald. Er hörte Adamsbergs sanfte Stimme sagen:
    »Es reicht. Wir hören auf. Trinken wir was.«
    Die Gerätschaften wurden in eine Ecke geworfen, und Declerc zog eine Literflasche Cognac aus der Tasche.
    »Es ist kein besonders erlesener Cognac«, erklärte er, »aber er wird uns ein bißchen reinigen. Nicht mehr als ein Becher für jeden.«
    »Verboten, aber unentbehrlich«, sagte Adamsberg.
    Der Kommissar machte ein paar Schritte, um Danglard einen Becher zu bringen. Er sagte nicht »Geht's?« oder »Geht's besser?« Er sagte überhaupt nichts. Er wußte, daß es in einer halben Stunde ein bißchen besser gehen würde, daß Danglard dann würde laufen können. Jeder wußte es, und niemand nervte ihn damit. Jeder war mit den eigenen inneren Kämpfen um diese stinkende Grube schon genug beschäftigt.
    Die neun Männer setzten sich ein Stück von dem Loch entfernt neben Danglard, der stehen blieb. Der Gerichtsmediziner ging noch einmal um die Grube herum und kam dann zu ihnen.
    »Na, Totendoktor«, sagte Castreau, »was erzählt uns das da?«
    »Es erzählt uns, daß es sich um eine ältere Frau handelt, sechzig, siebzig Jahre alt... Es erzählt, daß sie vor mehr als fünf Monaten durch eine Verletzung am Hals umgebracht wurde. Es wird eine haarige Angelegenheit sein, sie zu identifizieren, Kinder« (der Gerichtsmediziner sagte häufig »Kinder«, so als ob er vor einer Klasse stünde). »Ganz gewöhnliche, schlichte Kleidung, das wird euch nicht helfen. Ich denke auch, daß man keinerlei persönlichen Gegenstand in dem Grab finden wird. Macht euch keine Hoffnung auf ihren Zahnarzt. Sie hat ein Gebiß so frisch wie ihr und ich, ohne irgendeine Spur eines Eingriffs, soweit ich das habe erkennen können. Das ist die Geschichte der Grube, Kinder. Um die Frau zu identifizieren, werdet ihr ganz schön Zeit brauchen.«
    »Das ist Clémence Valmont«, sagte Adamsberg sanft, »wohnhaft in Neuilly-sur-Seine, vierundsechzig Jahre alt. Ich hätte gern noch einen Schluck Cognac, Declerc. Es stimmt, es ist ein ziemlich einfacher, aber trotzdem angenehm.«
    »Nein!« widersprach Danglard lebhafter, als man hätte glauben können, aber ohne sich von seinem Baum wegzurühren. »Nein. Der Mediziner sagt's: Die Frau ist seit Monaten tot!
    Und Clémence hat die Rue des Patriarches vor einem Monat sehr lebendig verlassen. Also?«
    »Aber ich sagte: Clémence Valmont, wohnhaft in Neuilly-sur-Seine«, antwortete Adamsberg. »Nicht wohnhaft Rue des Patriarches.«
    »Was soll das heißen?« fragte Castreau. »Gibt es zwei? Zwei mit demselben Namen? Zwei Zwillingsschwestern?«
    Adamsberg schüttelte den Kopf, während er den Cognac in seinem Becher schwenkte.
    »Es hat immer nur eine gegeben«, sagte er. »Eine Clémence Valmont in Neuilly, die vor fünf oder sechs Monaten ermordet worden ist. Die da«, sagte er und deutete mit einer Kinnbewegung auf die Grube. »Und dann gab es jemanden, der seit zwei Monaten bei Mathilde Forestier unter dem geliehenen Namen Clémence Valmont in der Rue des Patriarches wohnte. Jemand, der Clémence Valmont umgebracht hatte.«
    »Wer war das?« fragte Delille.
    Wie um sich zu entschuldigen, warf Adamsberg Danglard einen Blick zu, bevor er antwortete.
    »Es war ein Mann«, sagte er. »Es war der Mann mit den Kreidekreisen.«
    ***
     
    Sie hatten sich von der Grube entfernt, um atmen zu können. Zwei Männer lösten sich dort ab. Sie warteten auf die Leute vom Labor und den Kommissar von Nevers. Adamsberg hatte sich mit Castreau neben den Kastenwagen gesetzt, und Danglard war ein Stück spazierengegangen.
    Er ging eine halbe Stunde, ließ sich von der Sonne den Rücken wärmen und die Kraft zurückgeben, die er verloren hatte. Also war die Spitzmaus der Mann mit den Kreisen gewesen. Also war er es gewesen, der zunächst Clémence Valmont, dann Madeleine Châtelain, dann Gérard Pontieux und schließlich seiner Frau die Kehle durchgeschnitten hatte. In seinem alten Rattenhirn hatte er diesen höllischen Plan ausgearbeitet. Zunächst Kreise. Lauter Kreise. Man hatte an einen Verrückten geglaubt. Einen armen Verrückten, der von einem Mörder
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