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Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Titel: Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord
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Danglard.«
    Danach herrschte Schweigen. Adamsberg nagte an seinen Lippen. Er hatte sich wieder eine Zigarette genommen, einen Bleistiftstummel aus der Tiefe seiner Tasche geholt und ein kleines Blatt auf die Knie gelegt. Er dachte: Er wird mir jetzt eine lange Rede halten, er ist verärgert, er ist schockiert, ich hätte ihm nie die Geschichte von dem großen, geifernden Hund erzählen sollen, ihm nie sagen sollen, daß Patrice Vernoux die gleiche Grausamkeit ausschwitzt wie der kleine Junge aus dem Gebirge.
    Aber nein. Adamsberg betrachtete seinen Kollegen. Der lange, weiche Körper von Danglard, der auf dem Stuhl die Form einer Flasche annahm, die gerade dabei ist, zusammenzuschmelzen, bot einen friedlichen Anblick. Er hatte seine großen Hände in die Taschen seines schönen Anzuges gesteckt, seinen Plastikbecher auf die Erde gestellt, sein Blick ging ins Leere, und selbst in diesem Zustand sah Adamsberg, daß er verdammt intelligent war. Danglard sagte:
    »Ich gratuliere Ihnen, Kommissar.«
    Dann stand er auf, wie er es schon zuvor getan hatte, indem er zunächst den oberen Teil seines Körpers nach vorne beugte, dann den Po erhob und sich schließlich aufrichtete.
    »Ich muß Ihnen noch sagen«, fügte er, schon im Gehen, hinzu, »daß ich nach vier Uhr nachmittags vermutlich nicht mehr viel tauge, besser, Sie wissen das. Wenn Sie mich Dinge zu fragen haben, tun Sie das vormittags. Und Nachstellungen, Schießereien, Verfolgungsjagden und derlei Quark - damit muß ich gar nicht erst anfangen, meine Hand zittert, und meine Knie sind hin. Abgesehen davon sind meine Beine und mein Kopf aber zu gebrauchen. Ich glaube, mein Kopf ist gar nicht so übel, auch wenn er mir ziemlich anders zu sein scheint als Ihrer. Ein übertrieben freundlicher Kollege hat mir einmal gesagt, daß ich bei allem, was ich an Weißwein vernichte, nur noch dank der einäugigen Gutwilligkeit einiger Vorgesetzter Inspektor wäre und weil ich die Großtat vollbracht habe, zweimal zwei Zwillinge zu zeugen, was vier Kinder macht, wenn man richtig zählt, die ich allein erziehe, weil meine Frau mit ihrem Liebhaber verschwunden ist, um die Statuen auf den Osterinseln zu erforschen. Als ich noch quasi ein Säugling war, also etwa mit fünfundzwanzig Jahren, wollte ich die Mémoires d'outre-tombe schreiben oder aber nichts. Es wird Sie nicht erstaunen, wenn ich Ihnen erzähle, daß es anders gekommen ist. Gut. Ich nehme die Stiefel wieder mit, ich werde mir Patrice Vernoux und seine Freundin vornehmen, sie warten nebenan auf mich.«
    »Ich mag Sie, Danglard«, sagte Adamsberg, während er weiterkritzelte.
    »Ich glaube, das weiß ich«, erwiderte Danglard und nahm sein Glas.
    »Bitten Sie den Fotografen, sich morgen den Vormittag frei zu halten, und begleiten Sie ihn. Ich will eine Beschreibung und sehr genaue Aufnahmen von dem blauen Kreidekreis, der vielleicht kommende Nacht in Paris gezeichnet wird.«
    »Von dem Kreis? Meinen Sie diese Geschichte mit den Kreisen um Kronkorken? ›Victor, sieh dich vor, was treibst du jetzt noch vor dem Tor?‹«
    »Genau das meine ich, Danglard. Ganz genau das.«
    »Aber das ist doch Schwachsinn... Was soll...«
    Adamsberg schüttelte ungeduldig den Kopf.
    »Ich weiß, Danglard, ich weiß. Aber machen Sie es. Ich bitte Sie darum. Und reden Sie einstweilen mit niemandem darüber.«
    Daraufhin beendete Adamsberg die Zeichnung, die auf seinen Knien entstand. Im Büro nebenan hörte er plötzlich lautes Stimmengewirr. Die Freundin von Vernoux brach gerade zusammen. Sie hatte mit dem Mord an dem alten Händler nichts zu tun, das war offensichtlich. Ihre einzige, aber möglicherweise weitreichende Fehlentscheidung hatte darin bestanden, Vernoux in ausreichendem Maße geliebt zu haben oder ausreichend gefügig gewesen zu sein, um seine Lüge zu decken. Das Schlimmste für sie wäre nicht die Gerichtsverhandlung gewesen, das Schlimmste geschah jetzt gerade: die Entdeckung der Grausamkeit ihres Geliebten.
    Was hatte er bloß zu Mittag gegessen, um jetzt solche Bauchschmerzen zu haben? Unmöglich, er kam nicht mehr drauf. Er nahm das Telefon, um einen Termin mit dem Psychiater Rene Vercors-Laury zu vereinbaren. Morgen elf Uhr, schlug ihm dessen Sprechstundenhilfe vor. Er hatte kaum seinen Namen genannt, Jean-Baptiste Adamsberg, und schon öffneten sich alle Türen. Er war diese Art Berühmtheit noch nicht gewöhnt. Dabei währte sie schon eine ganze Weile. Aber Adamsberg hatte den Eindruck, mit seinem öffentlichen Bild
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