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Erwin Strittmatter: Die Biographie (German Edition)

Erwin Strittmatter: Die Biographie (German Edition)

Titel: Erwin Strittmatter: Die Biographie (German Edition)
Autoren: Annette Leo
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er weder öffentlich angegriffen noch reglementiert worden war? Er gehörte zur Nomenklatura der DDR-Künstler. Bis zum Ende der DDR blieb er in dieser Rolle, und er blieb nach außen hin loyal, unabhängig davon, was sich hinter den Kulissen abspielteund wovon hier noch die Rede sein wird. Mir ist nicht bekannt, dass er sich im Herbst 1989 etwa zu den Verhaftungen von Demonstranten äußerte oder dass er auf einer der vielen Veranstaltungen damals das Wort ergriffen hätte, wie es Christa Wolf, Heiner Müller, Stefan Heym und andere taten.
    Erwin Strittmatter rückte erst wieder in mein Blickfeld, als im Jahr 2008 in den Feuilletons Artikel auftauchten, die einen bisher eher unbekannten Teil seiner Biographie beleuchteten. Der Germanist Werner Liersch enthüllte, dass der Schriftsteller während des Zweiten Weltkriegs nicht – wie bisher angenommen – in einer Wehrmachtseinheit gedient, sondern einem Polizeibataillon angehört hatte, das in Polen und auf dem Balkan an Aktionen gegen die Zivilbevölkerung beteiligt war. Eine Kontroverse entbrannte darum, ob die Mitgliedschaft in einer derartigen Formation, die überdies später einem SS-Gebirgsjäger-Regiment unterstellt wurde, schon die Beteiligung an Verbrechen einschloss. Aber mehr noch ging es um die Frage, ob man tatsächlich davon sprechen könne, dass Strittmatter etwas verschwiegen habe, nur weil er sich mit diesem Kapitel seines Lebens in seinen stark auto biographisch gefärbten Romanen nicht auseinandergesetzt hatte. Wie sich herausstellte, hatte er nämlich in den Frage bögen für die SED-Akte zumindest einige Angaben dazu gemacht.
    Zu einer dieser Podiumsdiskussionen im Berliner Literaturforum im Brecht-Haus war ich eingeladen worden. Mein Part an diesem Abend war der historische Kontext des Vorgangs, der Umgang mit den NS-Verbrechen in der SBZ und frühen DDR und der Umgang mit den großen und kleinen Tätern im Rahmen der Antifaschismus-Politik der SED. Bereits eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung war der Raum voll. Die Stuhlreihen reichten fast bis an den Podiumstisch, dazwischen blieb gerade noch ein schmaler Durchgang.Ständig wurden neue Sitzgelegenheiten gebracht und auf jeden freien Fleck gestellt. Es war klar, dass die meisten Besucher treue Anhänger von Strittmatter und seinen Büchern waren, vermutlich ebenso treue Anhänger der untergegangenen DDR, die es vielleicht wieder einmal zu verteidigen galt.
    Meine Befürchtung, uns würde eine Veranstaltung voll emotionalen Aufruhrs und erregter Kontroversen bevorstehen, ging aber fehl. Zwar waren die Gefühle im Raum förmlich mit Händen zu greifen, die Leute waren jedoch gekommen, um etwas zu erfahren, und sie hörten sich stumm und konzentriert an, mit welchen Fakten, Argumenten, Hypothesen und Rückschlüssen die versammelten Experten vom Militärhistoriker bis zum Literaturwissenschaftler ihr bisheriges Bild von Strittmatters Leben und Werk in Frage stellten.
    Vielleicht war es gerade dieses erschütterte und zugleich resignierte Schweigen, in dem sehr viel gelebtes Leben mitschwang, das mir den Anstoß gab, über eine neue Strittmatter-Biographie nachzudenken. Der Abstand zu den Zeiten des Krieges wie zu den Zeiten des Verschweigens ist heute groß genug, um ohne Zorn und Eifer – weder mit dem Gestus der Anklage noch dem der Rechtfertigung – an die Geschehnisse heranzugehen. Zweifellos ähnelt der Lebensweg von Erwin Strittmatter bis in die fünfziger Jahre hinein dem vieler Angehöriger seiner Generation in Deutschland. Sie waren auf die eine oder andere Weise in die Verbrechen des Dritten Reiches verstrickt, waren mitgelaufen, hatten mitgemacht oder weggeschaut – sei es aus Überzeugung, sei es aus Angst. Nach 1945 bekamen sie auch in der DDR die Chance, noch einmal neu anzufangen, es besser zu machen, und der Eifer für das Neue half ihnen, die Vergangenheit weit von sich zu rücken, sie zu leugnen oder sich ihrer nur noch unter dem Aspekt späterer »Läuterung« zu erinnern. So entstand eine eigenartige Symbiose zwischen den heimgekehrten Soldaten, den enttäuschtenHitlerjungen und -mädchen und den an die Macht gelangten Kommunisten. Auf ihrem Aufbau-Aktivis mus, ihrem antifaschistischen Gedenk-Eifer, verbunden mit der Übereinkunft des Schweigens, gründete sich die DDR. Sie zerfiel, als diese Generation sich in den Ruhe stand verabschiedete, und gleichzeitig stand damit auch der bisherige Umgang mit der NS-Vergangenheit zur Disposition.

FONTANE-NACHFOLGER?
    An der
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