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Erwin Strittmatter: Die Biographie (German Edition)

Erwin Strittmatter: Die Biographie (German Edition)

Titel: Erwin Strittmatter: Die Biographie (German Edition)
Autoren: Annette Leo
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ihren Alltag kannte und sie verstand. Gleichwohl blieb er bis zum Ende der DDR ein hochgeehrter Staatskünstler, Adressat von Auszeichnungen, von Würdigungsartikeln im »Neuen Deutschland« und Gratulationsschreiben von Erich Honecker. Das mag widersprüchlich scheinen und passte in seinem Fall doch zusammen. Der Schlüssel für Strittmatters auch nach dem Ende der DDR fortdauernde Popularität liegt vermutlich in der engen Verbundenheit mit seiner Region. Das Verschwinden der DDR und die gleichzeitige Wiederherstellung der 1952 abgeschafften Länder gab zweifellos dem regionalen Identitätsgefühl erst wieder so richtig Auftrieb. Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte Erwin Strittmatter in Orten des heutigen Brandenburg: in der Niederlausitz und im Ruppiner Land. Er kam vom Lande, und er konnte nur auf dem Dorf, im Kontakt mit der Natur, wirklich leben, das versicherte er bei vielen Gelegenheiten. In seinen Geschichten beschrieb er die brandenburgischen Landschaften und die Menschen, die ihm dort begegneten, bemühte sich gar, ihre Mundart in Literatur zu übersetzen.
    »Nationalschriftsteller einer halben Nation«, schrieb »DER SPIEGEL« über Strittmatter. Hendrik Röder vom Brandenburgischen Literaturbüro Potsdam betrachtet ihn als die brandenburgische Identitätsfigur von heute, wenn nicht gar den Theodor Fontane des 20.  Jahrhunderts. Und während der Bohsdorfer Strittmatter-Verein und der Dollgower Heimatverein den Schriftsteller jeweils für sich beanspruchen möchten, tut sich die Stadt Spremberg seit einigen Jahren schwer mit dem Verhältnis zu ihrem Ehrenbürger und wohl berühmtesten Sohn.

DICHTUNG UND WAHRHEIT
    Erwin Strittmatter hat keine Autobiographie hinterlassen. Aber von den vier großen Romanen, die er geschrieben hat, tragen drei – »Ochsenkutscher«, »Der Wundertäter« und »Der Laden« – deutliche autobiographische Züge. Im Zentrum aller drei großen Erzählungen steht jeweils ein Junge, der viele (auch äußerliche) Ähnlichkeiten mit dem Autor aufweist. Die Romanhandlungen zeichnen das Heranwachsen, das Erwachsenwerden des Jungen, seine Erfahrungen mit den gewalttätigen Brüchen des vergangenen Jahrhunderts. Im »Wundertäter« wie im »Laden« hegt der Hauptheld den sehnlichen Wunsch, zu schreiben, ein Schriftsteller zu werden. Stationen der Handlung, Ereignisse und Mitmenschen sind in unterschiedlichen Kombinationen und Variationen aus der Lebensgeschichte entlehnt. Die Kindheit und Jugend eines Jungen aus einem Lausitzer Heidedorf bis zum Erwachsenwerden – das ist Strittmatters großes Thema, von dem er niemals loskommt. Kaum hat seine Hauptfigur diesen Punkt erreicht, beginnt der Autor sogleich wieder von vorn. Manchmal in kleinen Skizzen, dann in epischer Breite versetzt er seinen Helden erneut in den Stand der Kindheit und erzählt dieGeschichte auf andere Weise. Drückt sich hier eine unstillbare Sehnsucht nach Anfang, nach fortwährender kindlicher Unschuld aus? Bleibt der Autor fixiert auf den lebensgeschichtlichen Entwicklungsroman, weil immer noch etwas ungesagt geblieben war.
    »Wenn ein Dichter ein Dichter ist«, schreibt Franz Fühmann, »geht die Summe seines Lebens in jede seiner Dichtungen ein, aber nichts von dem gedichteten Leben muss dem gelebten Leben entsprechen wie ein Protokoll einem Sachverhalt«. 3 Ein solcher Blick auf die dichterischen Zeugnisse fragt nicht nach »wahr« oder »falsch«, sondern eben nach der Essenz. Und es stellt sich heraus, dass gerade die Sinnfrage in wechselnden Zeiten offenbar immer wieder neue Antworten benötigte.
    Die drei Lebensentwürfe des Schriftstellers, die vielleicht auch verschiedene Wunschbiographien darstellen, sind nicht zuletzt Ausdruck der jeweiligen Zeit, in der sie geschrieben wurden. Lope Kleinermann, der Held aus »Ochsenkutscher«, Strittmatters erstem, 1950 veröffentlichtem Buch, wächst nach dem Ersten Weltkrieg in einem Dorf in der Niederlausitz auf, in einer Landarbeiterfamilie, die zu den Ärmsten der Armen gehört. Der Autor beschreibt das harte Leben der Mutter, die Trunksucht des Vaters, die Ausbeutung durch Gutsherren und Grubenbesitzer. Lope, ein sensibles Kind, das anders ist als die anderen, nimmt seine Umgebung staunend wahr und erschafft sich seine eigene phantastische Welt. Das Buch endet wenige Monate nach der Machtübernahme der Nazis, als Lope, der etwas über den Klassenkampf gelernt hat, sich dem einzigen Kommunisten des Dorfes anschließt. Seine optimistische Schlussvision einer
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