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Erwin Strittmatter: Die Biographie (German Edition)

Erwin Strittmatter: Die Biographie (German Edition)

Titel: Erwin Strittmatter: Die Biographie (German Edition)
Autoren: Annette Leo
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sind seit einigen Jahren Museum. Erwins jüngerer Bruder Heinrich, später nannte er sich sorbisch Heinjak, der bis zu seinem Tod im Jahr 2002 darin gelebt hat, wurde der eifrige Bewahrer und Hüter der Geschichte seines berühmten Bruders und hat sich damit gleich selbst ein Denkmal gesetzt: Seine Klassenfotos und auch seine Schulzeugnisse liegen hier unter Glas. An der Garderobe hängt der schwere Ledermantel, den – so kann man auf einer kleinen Tafel lesen – Erwin Strittmatter ihm einst schenkte. In der Küche stehen ein paar Gläser mit Sauerkirschen, eingeweckt von Heini für Erwin.
    Wieder auf der Dorfstraße und mit dem Blick auf die sanften Wiesen gleich hinter der Häuserzeile, die von Baum- und Buschreihen unterbrochen werden, fällt mir trotz längeren Nachdenkens kein anderer deutscher Dichter oder Schriftsteller ein, der nur wenige Jahre nach seinem Tod schon so viel museale und gedenktafelförmige Aufmerksamkeit erfahren hat wie Erwin Strittmatter. Für Bertolt Brecht, der übrigens im Leben von Strittmatter eine wichtige Rolle spielte, wurde die erste Erinnerungsstätte erst 1977, 21 Jahre nach seinem Tod, in seinem ehemaligen Sommerhaus in Buckow eröffnet. Ein Jahr später kam das ihm gewidmete Literaturforum in der Berliner Chausseestraße mit Museum, Archiv und Veranstaltungsraum hinzu. Die Stadt Augsburg gar ließ sich bis zum Jahr 1985 Zeit, ehe sie im Geburtshaus ihres berühmten Sohnes eine Ausstellung einrichtete. Zweifellos haben diese langen Intervalle im Falle Brechts auf jeweils unterschiedliche Weise mit dem Kalten Krieg und seinen ideologischen Grabenkämpfen zu tun, während die Geschwindigkeit, mit der Erwin Strittmatter und sein Werk Eingang in eine lokale Gedenkkultur gefunden haben, im Gegenzug vielleicht als Folge der deutschen Vereinigung und eines neuaufgeblühten Beharrens aufeiner eigenen ostdeutschen Identität gedeutet werden kann. Dabei war von der Stadt Spremberg, dem Geburtsort Erwin Strittmatters, bisher noch gar nicht die Rede. Dort gibt es eine Tafel an der Stelle, wo einmal sein Geburtshaus gestanden hat, eine Tafel am Erwin-Strittmatter-Gymnasium, das er bis 1929 besuchte, eine Tafel am damaligen Lyzeum, wo der Junge »in Kost und Logis« beim Hausmeisterehepaar wohnte. Ein Teil seines damaligen Schulwegs wurde 1995 in Strittmatter-Promenade umbenannt, eine Tafel markiert sogar den Standort des inzwischen abgerissenen Hauses, in dem die kleine Großmutter bis 1919 ihren Laden betrieben hatte. Das Spremberger Schloss schließlich präsentiert eine ständige Ausstellung über Leben und Werk des Ehrenbürgers.
    Man würde Erwin Strittmatter und seinen langjährigen Leser innen und Lesern Unrecht tun, wollte man ihre liebevolle Anhänglichkeit auf das mit ein wenig Nostalgie vermischte Nachwende-Bewusstsein verkürzen. Seine Popularität reichte bereits bis in die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück. Er war einer der meistgelesenen Schriftsteller der DDR. Die Auflagen seiner Bücher waren stets schnell vergriffen, seine Leseveranstaltungen meist überfüllt, auf den Literaturbasaren drängten sich die Menschen, um ein Buch von ihm signieren zu lassen. Aus seinen Tagebuchaufzeichnungen und Briefen geht hervor, dass sogar im abgelegenen Schulzenhof häufig Bewunderer und vor allem Bewunderinnen um das Gehöft strichen, um einen Blick auf den Künstler, vielleicht sogar ein Autogramm zu erhaschen. Die Menge an Briefen, die er wöchentlich zu beantworten hatte, brachte ihn bisweilen zur Verzweiflung.
    Auf Fotos sieht man Strittmatter mit weißer Maurermütze, mit blau-weiß gestreiftem Möbelträgerhemd, Lederweste und/oder mit Latzhose. Zweifellos von der Brecht’schenSchie bermütze und Litewka inspiriert, schuf er sich damit seinen eigenen originellen Stil. Doch gleichzeitig war das erkennbar Arbeitskleidung, wie man sie in der DDR im Berufsbekleidungsladen kaufen konnte. In »Pony Pedro«, im »Schulzenhofer Kramkalender« und in den Tagebuch-Auszügen, die er schon zu seinen Lebzeiten veröffentlichte, beschrieb er, wie er täglich die Pferde versorgte, Heu einfuhr, Stalltüren reparierte, Äpfel erntete und Holz hackte.
    Die Bezeichnung Volksschriftsteller oder gar »deftiger Heimatdichter«, wie Marcel Reich-Ranicki ihn ironisch nannte, soll Strittmatter gar nicht gemocht haben. Offenbar sah er damit seine Literatur in eine zweitklassige Schublade gesteckt. Unbestritten war er populär. Viele Leute hatten das Gefühl, er wäre einer von ihnen, der
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