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Erwacht

Erwacht

Titel: Erwacht
Autoren: Jessica Shirvington
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Ich musste mich im Schlaf irgendwie selbst gekratzt haben.
    Nach einer schnellen Dusche ging ich schnurstracks zur Kaffeemaschine. Ich war nicht überrascht, dass Dad schon um sechs Uhr morgens zur Arbeit gegangen war. Ein Post-it mit der Aufschrift »Happy Birthday« war der einzige Hinweis darauf, dass er überhaupt nach Hause gekommen war.
    Ich setzte mich mit meiner ersten Tasse Kaffee und dann sah ich es: Die Venen auf der Innenseite meines Unterarms sahen anders aus. Ich schaute genauer hin. Sie schienen dunkler zu sein als sonst, und es waren mehr – wenn das überhaupt möglich war. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass das Muster dermaßen kompliziert gewesen war; es sah fast aus, als wären sie ineinander verwoben. Ich schüttelte den Kopf. Zuerst der Traum und dann das. Vielleicht wurde ich krank? Perfekt. Ich konnte mir total gut vorstellen, den ganzen Tag mit Steph shoppen zu gehen und mich dabei tragisch zu fühlen.
    Mit meiner zweiten Tasse Kaffee ging ich in mein Atelier, das im Gästezimmer untergebracht war. Ich versuchte, mit einer neuen Leinwand anzufangen, aber ich unterbrach die Arbeit immer wieder, um meine Venen anzuschauen. Schließlich ertappte ich mich dabei, wie ich zurück ins Bett ging und den Brief meiner Mutter noch einmal las, bevor ich ihn wieder wegpackte und das Kästchen unter meinem Bett verstaute.
    Aus den Augen, aus dem Sinn.

KAPITEL SECHS
    »Offenkundig sind die Werke des menschlichen Eigenwillens, nämlich: Unzucht, Unreinheit, Ausschweifung.«
    GALATER 5, 19
     
    I ch drückte auf Nummer zwölf und schaute zu Steph hinüber, während sich die Aufzugstüren schlossen. Sie hüpfte auf und ab, sodass der Aufzug mit ihr hoch und runter federte. Mein Magen sackte ab. Ich hasste dieses Gefühl.
    »Ich freue mich schon so auf heute Abend!«
    Weshalb Steph so aufgeregt war wegen meines Geburtstags, war mir schleierhaft. Ich schloss die Augen und lehnte mich gegen die verspiegelte Wand; ich wünschte, es wäre morgen und mein Geburtstag würde der Vergangenheit angehören. Ich hatte zugelassen, dass Steph mich den ganzen Nachmittag herumschleifte, um Kleider anzuschauen, obwohl ich eigentlich nur wollte, dass der Tag vorbeiging.
    »Gut, dass wenigstens einer sich freut«, antwortete ich.
    »Kopf hoch! Dein Dad geht mit uns in eine der coolsten Bars der ganzen Stadt. Es ist das absolut angesagteste Lokal. Gott weiß , wie er es geschafft hat, dort etwas zu reservieren«, sagte sie und klimperte mit den Augenlidern.
    Natürlich wusste ich, dass Steph bei der Reservierung nachgeholfen hatte. Ihr Bruder Jase war DJ. Normalerweise konnte er uns überall Eintritt verschaffen.
    »Außerdem«, fügte sie listig hinzu, »bin ich mir sicher, dass Lincoln da sein und dir einen Geburtstagskuss geben wird!«
    Ich seufzte. Ich hatte Lincoln zwar eingeladen, uns nach dem Essen auf einen Drink zu treffen, aber ich war mir nicht sicher, ob er kommen würde. Er war nicht so besonders erpicht auf geselliges Beisammensein und ich hatte Steph schon eine Million Male gesagt, dass er kein Interesse an mir hatte. Aber sie blieb trotzdem dabei.
    »S-t-e-p-h.« Ich zog ihren Namen drohend in die Länge.
    Sie ignorierte mich. »Ich weiß, dass du verrückt nach ihm bist. Und ich habe beobachtet, wie er dich anschaut, wenn du nicht hinsiehst. Da ist definitiv was drin.«
    Wenn sie nur recht hätte.
    »Wenn du ihn willst, dann musst du, du weißt schon … etwas unternehmen. Du musst ihm zeigen, was ihm entgeht. Bring deine … Vorzüge zum Einsatz.«
    Sie meinte meinen Busen. Steph sagte mir immer, dass ich zeigen sollte, was ich hatte. Ich zog es jedoch vor, mich auf andere Dinge zu konzentrieren, zum Beispiel meine hohen Wangenknochen, meine vollen Lippen und meinen Milch-und-Honig-Teint. Und natürlich mein langes Haar, hinter dem ich mich verstecken konnte, wenn ich wollte.
    Die Aufzugstür öffnete sich gerade rechtzeitig, um aus diesem Gespräch wieder herauszukommen. Ich würde nicht damit anfangen, supertief ausgeschnittene Oberteile zu tragen, um Lincolns Aufmerksamkeit zu erregen. Steph hatte ihren Stil, ich hatte meinen. Zugegebenermaßen hatte »mein Stil« dazu geführt, dass ich nun über dem gähnenden Abgrund von Nur-gute-Freunde hing.
    Als wir in der Wohnung angelangt waren, stellte ich meine Einkaufstüten in meinem Zimmer ab und ging in die Küche. Sie war weiß mit Geräten aus rostfreiem Stahl, die glänzten, weil sie nie benutzt wurden – abgesehen natürlich von der
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