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Erste Male

Erste Male

Titel: Erste Male
Autoren: Megan McCafferty
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Weinflasche. Als wir noch klein waren, warb sie für einen Spirituosenladen. Dann wurde daraus eine Tankstelle mit Gasflaschenverkauf, und die cleveren neuen Besitzer gestalteten die Flasche entsprechend um.
    »Wahrscheinlich bist du dein Leben lang jeden Tag am Château de Propan vorbeigekommen«, sagte er. »Von der Straße aus sieht die Flasche ziemlich schäbig aus. Aber hast du sie dir schon mal aus der Nähe angesehen?«
    Hatte ich nicht, musste ich zugeben.
    »Sie ist schon so oft übermalt worden, dass jede Absplitterung ganz überraschende neue Schichten freilegt. Moderne Kunst.«
    Er zeigte auf eine Stelle, wo Grün durch Rosa schimmerte, darin hellblaue Flecken und rote Spritzer. Er hatte Recht. Jeder einzelne Quadratzentimeter war irgendwie hübsch.
    »Ich weiß ja, wie sehr du Pineville hasst«, sagte er. »Da dachte ich, heute Abend zeige ich dir, was du verpasst, wenn du nicht genau genug hinguckst.«
    In der nächsten Stunde besuchten wir die anderen »Wunder« der Stadt, in der wir geboren und aufgewachsen waren: den lila Dinosaurier aus Fiberglas, der unerklärlicherweise vor dem Teppichladen Magic Carpets and Remnants steht, ungefähr zwanzig Jahre älter ist als Barney und seine Freunde und von fahrlässigen Autofahrern bereits sechs Mal geköpft wurde; den Wunder Wiener , einen winzigen fahrbaren Imbissstand in Form eines Hotdogs, der gegenüber vom längst geschlossenen Woolworth steht, solange wir uns erinnern können, und anscheinend nie Kunden hat. Nach dem vierten Wunder – einem weißen VW Käfer, der auf dem Dachfirst des Ersatzteilhändlers Augie’s Auto Parts hockt – wurde ich ein bisschen nervös, ob es denn, na ja, langsam mal losginge. Vor allem, als Marcus an der nächsten Ampel wieder nach rechts in unsere Straße einbog.
    »Bringst du mich nach Hause?«
    »Nicht ganz.«
    Er fuhr an unserem Haus vorbei (kein Licht an) und bremste vor dem Spielplatz ab. Dem Spielplatz, zu dem ich nachts immer gelaufen bin.
    »Und dies«, sagte er, »ist der Spielplatz, den die Zeit vergessen hat. Der einzige in der ganzen Stadt, der weder disneyfiziert noch pokemonisiert wurde. Er sieht noch genauso aus wie damals, als wir zur Grundschule gingen. Reifenschaukeln, Klettergerüst, Karussell. Alles genau wie früher.«
    Der Spielplatz ist einer meiner Lieblingsplätze. Ich fand es wunderbar, dass er mich hierhergebracht hatte. Auf einmal wollte ich ihm alles Mögliche erzählen.
    »Früher bin ich immer mitten in der Nacht hergelaufen, wenn ich nicht schlafen konnte.«
    »Echt?«
    Ich zeigte hoch in die kahle Baumkrone. »Ich habe mich auf eine Schaukel gesetzt und versucht, die Zweige mit den Füßen zu treffen«, sagte ich, inzwischen mutig genug, Marcus direkt in die Augen zu schauen. »Das war so ein Spiel, das ich immer gespielt habe.«
    »Ein Spiel.«
    »Ja.« Ich versuchte erfolglos, ein Lächeln zu unterdrücken. »Jetzt rede ich stattdessen mit dir.«
    Marcus stopfte die Hände in die Hosentaschen. Auf einmal schien er sich überhaupt nicht mehr wohl in seiner Haut zu fühlen, so als ob er am liebsten ganz in seiner Hose verschwinden wollte.
    Dann rannte er ohne ein Wort los zum Karussell. Ich folgte ihm und setzte mich in den großen roten Kreis in der Mitte. Mitten ins Herz. Marcus hüpfte auch drauf, setzte sich im Schneidersitz mir gegenüber. Der Wind drehte das Karussell im Schneckentempo, aber mir kam es vor, als ob es wie verrückt im Kreis wirbelte.
    »Ich habe meinen ersten guten Vorsatz fürs neue Jahr gefasst«, sagte er.
    »Echt? Ich dachte, du hättest dir schon alle Laster abgewöhnt.«
    »Fast«, sagte er.
    »Und?«, fragte ich. Ich wollte unbedingt wissen, welche schlechte Angewohnheit er aufgeben wollte. Er wollte doch um Gottes willen nicht in Keuschheit leben?
    »Es hat mit dir zu tun.«
    Ich versuchte Mit mir? zu sagen, aber brachte keinen Ton heraus.
    »Ich habe mir geschworen, dass ich dich nicht mehr an der Nase herumführen will.«
    »Was …?!«
    Er legte mir den Finger auf die Lippen, damit ich still war. Am liebsten hätte ich ihn in den Mund genommen und daran gelutscht, bis er schrumplig wurde. Dann den nächsten …
    »Du hättest das Gedicht niemals lesen sollen«, sagte Marcus. »›Fall‹.«
    Unsere Knie berührten sich.
    »Warum nicht?«, fragte ich. »Ich mag deine Gedichte.«
    »Aber es gibt dir eine falsche Vorstellung davon, was ich von dir will.«
    Er wollte sich dafür entschuldigen, dass er mit mir schlafen wollte. Das wusste ich. Von den
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