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Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)

Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)

Titel: Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)
Autoren: Olaf Kutzmutz
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denkende und fühlende Person. Jeder Mensch ist eine kleine Gesellschaft.

    Wenn es um die Frage geht, was man lesen soll, wenn man schreiben will, sollte nicht nur die Lektüre der Fragmente von Novalis empfohlen sein. Man sollte dann gleich das ganze Netzwerk von Projekten betrachten, das Novalis zu einem großen Projekt zusammenspannt.
    Die Blütenstaub - Fragmente sind in der ersten Ausgabe des Zentralorgans der frühromantischen Bewegung erschienen: im Athenäum , das Friedrich Schlegel und sein Bruder August Wilhelm 1798 gegründet haben und in jeweils zwei Nummern pro Jahr bis Ende 1800 erschienen ist. Für die Schlegels galt die Zeitschrift als ein »Project« unter einer ganzen Reihe von Projekten, die sie mit unermüdlichem Aktivismus aus dem Boden stampften. Vor allem war es Friedrich Schlegel, der in der Projektemacherei an und für sich einen ganz und gar modernen Sinn entdeckt hatte. Projekte sollten Unternehmungen sein, die nicht systematisch durchgeplant und auch nicht systematisch durchgeführt werden sollten. Für Schlegel galten sie – wie er es in einem in der zweiten Athenäum -Ausgabe erschienenen Fragment pointiert hat – als »Fragmente aus der Zukunft«. Wie das Schreiben sollte man auch Projekte einfach beginnen. Man sollte sie vorantreiben, aber auch wieder abbrechen können, um dann wieder etwas Neues zu organisieren. Projekte sind temporär, dynamisch, ergebnisoffen, experimentell. Es sind letztlich selbst wieder »Sämereien«, unter denen (viele Projektemacher kennen das aus eigener schmerzvoller und lustvoller Erfahrung) eine Menge taube Körner sein können, von denen aber einige auch so aufgehen können, dass aus ihnen etwas Größeres entsteht.
    So liegt dem Schlegelschen Aktivismus eine Produktionsidee zugrunde, die auch Novalis für die eigenen Fragmente genutzt hat: Projekte sind probeweise realisierte Ideen, Verkörperungen von Einfällen, ambulante Anordnungen für Experimente, von denen man noch nicht weiß, was aus ihnen wird. Fortwährend Projekte zu machen bedeutet, bewusst fragmentarisch zu leben – mit genau den Implikationen, die Novalis in der Blütenstaub -Sammlung entfaltet hat: Wie man Fragmente um des Schreibens willen schreibt, so werden Projekte um der Projekte willen unternommen. Auch durch romantische Projektemacherei erzeugt man einen Sog, durch den sich erkennen lässt, wie das Prinzip Kreativität funktioniert, das Innovationen zugrunde liegt. Und auch die Arbeit an romantischen Projekten lässt sich wie ein Relais nutzen, um die verschiedenen Sachen, an denen man arbeitet, so miteinander zu verknüpfen, dass sie sich gegenseitig mit Energie aufladen.
    Das Athenäum war als solch ein energetisches, fragmentarisches Projekt gedacht. Hier sollten die verschiedensten Arbeiten und Autoren gebündelt werden, damit sie Funken schlagen. Dass in der ersten Ausgabe (neben anderen Textformaten) die Blütenstaub - Fragmente von Novalis und in der zweiten Ausgabe (wieder neben anderen Textformaten) Fragmente von Friedrich Schlegel erscheinen, folgt deshalb genau der Logik des romantischen Programms. Die heterogenen Textstücke, aus denen die Blütenstaub -Sammlung besteht, verhalten sich zueinander, wie sich die heterogenen Beiträge in der Zeitschrift aufeinander beziehen. Und die wiederum setzen die unterschiedlichen Autoren miteinander ins Gespräch. Inszeniert wird auf allen Ebenen eine Form literarischer Geselligkeit, in der, wie Schlegel sagt, »einer den anderen anregt« und »eine Ansicht viele andere gebiert« und alle »der drohenden Gefahr« entgehen, »die unendliche Natur in einen engen Begriff drücken zu wollen«.
    Das ist der Sinn der Projektemacherei, auf den die Frühromantiker eine Zeitschrift genau so ausrichten wie die Organisation eines Gesprächs, das Schreiben eines Romans, eines Gedichts, eines Fragments oder eines Briefes: nichts abzuschließen und in einen »engen Begriff« zu drücken, sondern alles in Richtung Unendlichkeit zu öffnen. Jede einzelne Unternehmung soll dafür auf jeder Ebene als ein Projekt verstanden sein, in dem die widersprüchlichsten Sachen über Relais miteinander verbunden und aneinander aufgeladen werden. Und alle einzelnen Projekte sind wiederum zu einem noch größeren Projekt zu verbinden, in dem auf nächster Stufe das Widersprüchlichste verknüpft und verschaltet wird, damit eins das andere anregt und eine Ansicht viele neue gebiert.
    Wo das gelingt, hat man es mit einer selbstlaufenden Maschinerie zu tun, die
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