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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
Autoren: Barbara Erskine
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Küchentisch. »Wer weiß, vielleicht komme ich zurück und schreibe über Boadicea.«
    »Nach Weihnachten kommt sie zu mir zurück«, sagte Jon langsam. »Wenn ich sie davon überzeugen kann, was für ein Idiot ich war, sie gehen zu lassen.«
    Greg starrte ihn an. Da war sie wieder. Die Wut. Er atmete tief durch; versuchte, sich zu beherrschen. Marcus, dieser Scheißkerl. Er war so nah. Es war Eifersucht. Das war es. Eifersucht. Er ballte die Fäuste. Er schob seinen Stuhl zurück, stand auf und wankte vom Tisch fort. »Greg -?« Kate sah ihn verängstigt an.
    »Schon gut.« Er drehte sich schnell um, um sein Gesicht zu verstecken. Es war wie ein Schmerz. Krämpfe, qualvolle Krämpfe. Dasselbe war mit Alison geschehen; so hatte sie Bill getötet. »Geht jetzt. Ihr beide. Geht runter zum Cottage und packt die Sachen. Mir fehlt nichts.«
    Er schob sich durch die Tür zum Arbeitszimmer und warf sie hinter sich zu. Der Anblick des leeren Betts mit den drei ordentlich gefalteten Decken ließ ihn innehalten. Er stand still, ließ die Welle der Trauer über sich hinwegfließen. Wo bist du, Dad? Er starrte hoch zur Decke. Hilf mir. Bitte. Er ging hinüber zum Schreibtisch seines Vaters und warf sich auf den Stuhl. Lange Zeit saß er da und betrachtete das Porträt, das dort auf dem Tisch lag, wo er es gestern hingelegt hatte. Oh, sie war so schön, diese Lady Claudia. So schön und so falsch. Seine Augen schwammen in Tränen.
    Lange Zeit blieb er dort sitzen und starrte ihr Gesicht an. Dann stand er auf. Er nahm das Bild und hob es langsam an seine Lippen. Er konnte jetzt den Moschus riechen. Das ganze Zimmer war erfüllt davon; exotisch. Quälend.
    Er hörte Jon und Kate in der Diele. Sie zogen ihre Stiefel und Mäntel an. Seine Finger krampften sich um den Rahmen der Leinwand, als er ihren leisen, fast verschwörerischen Stimmen lauschte. Dann fiel die Tür hinten ihnen ins Schloß, und das Haus war still. Er sah ihr wieder in die Augen. Claudia… Es war ein Leichtes, das Bild zu zerfetzen.

LXXVI
    Kate und Jon gingen vorsichtig in das kleine Wohnzimmer und sahen sich um. Bills Leiche war weg, und ebenso die Polizei und die Gebäudereiniger. Die Teppiche waren zum Trocknen aufgehängt, der schlimmste Dreck beseitigt und die Fenster des Cottage geöffnet worden, um es zu lüften. Kate seufzte erleichtert. Irgendwie hatte sie erwartet, daß etwas von der Aura œ und dem Geruch œ des Todes zurückbleiben würde, aber das Wohnzimmer war mehr oder weniger wieder wie zu Anfang. Es war behelfsmäßig aufgeräumt und roch nur noch nach Feuchtigkeit.
    Sie lächelte Jon an. »Ich gehe rauf zum Packen.« Er nickte. Er sah sich im Zimmer um. Er war sehr still geworden, als sie sich dem Cottage näherten. Hin und wieder hatte er sie mit einer eigenartigen Nachdenklichkeit angestarrt.
    Es dauerte nicht lange, bis sie ihre Kleidung, ihre Bücher und Unterlagen in ihre Kartons und Koffer gepackt hatte. Später würden sie sich bei einem Nachbarn dessen Auto mit Vierradantrieb ausleihen, um alles zurück zum Farmhaus zu bringen. Sie sah sich ein letztes Mal im Cottage um, lauschte der Stille, schnupperte unbewußt nach Spuren von Torf oder Claudias Moschusduft. Nichts. Das Cottage war leer. Beruhigt zog sie die Tür hinter ihnen zu und hörte, wie das Schloß einrastete.
    Das Wasser war langsam zurückgewichen und hatte im Garten ein Meer von Schlamm hinterlassen. Auf der Nordseite der Bäume und Büsche hatten sich große Klumpen nicht geschmolzenen Schnees versteckt, weiße Kissen im feuchten Unterholz. Nach den eisbeladenen Ostwinden der letzten Tage war der Südwind Balsam für die Seele œ eine sanfte Brise, fast warm. Jon blickte Kate an. »Willst du nochmal das Grab sehen, bevor wir gehen?«
    Sie nickte. »Ich würde gern sehen, was damit passiert ist. Das Meer scheint ganz zurückgewichen zu sein.« Hinter ihnen glitzerte die Flußmündung, wenigstens an den Stellen, wo sie nicht mit Scharen von Schwimmvögeln bedeckt war.
    Sie gingen langsam auf das Ufer zu. Wo früher hohe, geschwungene Sanddünen gewesen waren, zeigte sich jetzt eine veränderte Landschaft: kleine, abgeflachte Hügel; Schlamm; hoch aufgehäufter Strand und überall ein Belag aus schwarzem Tang, den die grimmigen Wellen vom Grunde des Meeres hierher geschleppt hatten. Eine Wolke von Möwen stieg aus der stinkenden Masse auf, als sie vorsichtig nach einem Weg hindurch suchten, hin zu dem Platz, wo die Ausgrabung gewesen war. Sie blieben stehen und betrachteten
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