Erloschen
keinen der Stars oder Möchtegernstars mehr. Andererseits hatte Cornell sich noch nie sonderlich für sie interessiert. Und Reality-Shows fand er einfach nur langweilig.
Heute Abend hatte ein ausgemergelter Junkie die Kont rolle über die Fernbedienung, und Cornell war nicht so blöd, sich mit dem Mann anzulegen. Mit seinen glasigen Augen und der Lederhaut hätte der Kerl glatt in einem Zombiefilm mitspielen können.
Aus irgendwelchen Gründen schien er sich für die Kabel-Nachrichten zu begeistern. Bei denen blieb er die ganze Zeit hängen, ohne einmal zu zappen, nach Sportergebnissen oder dem Wetterbericht zu sehen.
Nach den Nachrichten sollte ein Beitrag über die Brände kommen, und den wollte Cornell sehen, also harrte er geduldig aus. Er hatte ja nichts anderes vor. Blöd war nur, dass der Zombie den Ton ganz leise gestellt hatte, sodass Cornell den Schwachsinn in der Laufzeile unten am Bildschirm mitlesen musste.
Er zog sich seinen Stuhl näher an den Apparat, als ein Interview kam. Zwei Männer, deren Namen unten auf dem Bildschirm mit Jeffery Cole, Journalist, und Wes Harper, Feuerwehrmann bei der Braxton Protective Agency, angegeben waren, unterhielten sich. Cornell war so mit Lesen beschäftigt, dass er zunächst nicht auf den Rest des Bildschirms sah, und als er es tat, konnte er es nicht glau ben. Das war der Typ aus der Gasse, kein Zweifel. Der Typ, der das Benzin verschüttet hatte.
69
Maggie hatte Tullys Angebot, sie zum Krankenhaus zu fahren, dankend abgelehnt. Jemand musste warten und den Tatort sichern, bis Ganzas Leute eintrafen. Außerdem war es nicht der erste Selbstmordversuch ihrer Mutter. Maggie zählte schon gar nicht mehr mit, wie oft Kathleen O’Dell bereits versucht hatte, sich das Leben zu nehmen.
Das erste Mal waren es Schlaftabletten gewesen. Danach Tabletten und Alkohol. Vor fünf Jahren, als Maggie an einem Fall in Nebraska arbeitete, beschloss Kathleen, zur Abwechslung eine Rasierklinge zu benutzen. Ihr da maliger Therapeut nannte die Schnitte »Zögermale«. Wenn es ihr ernst gewesen wäre, hätte sie vertikal geschnitten und die Adern aufgeschlitzt, statt sie nur quer einzuritzen.
Der letzte Versuch war drei Jahre her. Julia Racine war ebenfalls dabei gewesen. Kathleen hatte ihren Suizid in der Damentoilette in einem Park in Cleveland inszeniert, unmittelbar vor der Veranstaltung einer kirchlichen Organisation.
Maggie hatte Racine hinterher gefragt, wie sie ihre Mutter dazu gebracht hatte, damit aufzuhören. »Ich habe gesagt, dass ich schon einen Megastress mit ihrer Tochter habe und sie mich doch bitte verschonen möge.« Natürlich hatte Kathleen darüber gelacht. Sie hatte es nur zu gut verstanden. Schließlich hatte sie die letzten zwanzig Jahre Megastress mit Maggie gehabt, weil sie sie am laufenden Band enttäuscht hatte.
Seit dem Tod von Maggies Vater hatte ihre Mutter ihre Abhängigkeiten gewechselt und gemixt, als wären es Modetrends – von Johnnie Walker über Valium zu Sex, dann Religion und Bionahrung und wieder zurück zu Johnnie Walker. Als Maggie ihre Mutter dabei erwischt hatte, wie sie Patrick aus Maggies Haus werfen wollte, hatte sie sofort gesehen, dass ihre Mutter wieder trank. Dazu musste sie noch nicht mal ihre Fahne riechen.
Als Maggie im Krankenhaus ankam, wurde sie von einer Schwester in der Notaufnahme zur Intensivstation geschickt. Vor dem Eingang zur Station sagte ihr eine Sekretärin, dass sie auf den Arzt warten müsste, und zeigte zu einem Warteraum am Ende des Korridors. Im Warteraum saß Julia Racine.
Auf Racines Sweatshirt war so viel Blut, dass Maggie fürchtete, sie könnte ebenfalls verletzt worden sein. Selbst als Racine ihr erklärte, dass es ausschließlich von ihrer Mutter stammte, fragte Maggie dennoch: »Ist mit dir alles okay?«
Es war das erste Mal, dass sie Racine sprachlos erlebte. Die junge Polizistin nickte nur und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, worauf die kurzen Strähnen noch spitzer aufragten als sonst.
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich hasse Kranken häuser.«
70
Sam wusste, dass es richtig von ihr gewesen war, Agent O’Dell und Patrick von Wes Harper zu erzählen. Jefferys Auftritt gestern Abend vor ihrem Haus wollte ihr nicht aus dem Kopf. Vor allem nicht, nachdem sie sich ein paar seiner Mailboxnachrichten angehört hatte. Er hatte sie lange bevor sie die erste Feuerwehrsirene gehört hatte, zu den brennenden Läden beordert. Wie konnte Jeffery von jedem dieser Brände so weit im Voraus
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