Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erloschen

Erloschen

Titel: Erloschen
Autoren: Alex Kava
Vom Netzwerk:
Schaulustigen wie Obdachlose wirkten. Er kannte sich mit der »Nachtschicht« der Stadt, wie er sie nannte, gut aus – mit Drogendealern, Prostituierten, Lieferanten und Taxifahrern. Sie waren die Einzigen, die sich um diese Zeit auf den Straßen aufhielten. An die Obdachlosen mit ihren eingefallenen Wangen und den leeren Augen, die sie für Tully wie Zombies wirken ließen, könnte er sich aber wohl nie gewöhnen.
    »Hey, Tully!«
    Die Stimme erschreckte ihn so sehr, dass er zusammenzuckte. Was dachte er auch an Zombies?
    Tully blickte sich um. Detective Julia Racine trug Jeans und eine offene Lederbomberjacke, sodass ihre Marke und die Waffe gut zu sehen waren. Racine hatte stets etwas an sich, das sie tougher erscheinen ließ, als sie Tullys Wissen nach war. Heute Nacht war es die offene Jacke in eisiger Kälte, der schwunghafte Gang und nun die Hand, die durch ihr vom Duschen noch feuchtes kurzes Haar fuhr.
    »Was stehst du hier im Dunkeln?«, fragte sie.
    Natürlich erwartete sie keine Antwort. Racine hatte ihn herbestellt, und die Frage war quasi ihre Begrüßung.
    »Er ist hier«, sagte Tully leise und rührte sich nicht. Er blickte wieder zum Nachbargebäude.
    Er wusste nicht, ob Racine ihn gehört hatte. Sie kam zu ihm und blieb stocksteif stehen, die Hände in den Taschen. Sie war so nahe, dass Tully sie riechen konnte – Kokosnuss und Limone. Sicher war es ihr Shampoo, und der Duft machte ihren Gang und ihre offene »Zu cool um zu frieren«-Jacke wieder wett. Dies war eines der Dinge, die Tully an der Arbeit mit Frauen mochte, was er jedoch in hundert Jahren nicht zugegeben hätte: Sie rochen so viel besser als Männer.
    »Fünfundfünfzig Prozent aller Brandstifter sind unter achtzehn«, sagte sie sachlich und ohne einen Blick in seine Richtung. Ganz Profi eben.
    Sie sah zu den Leuten hinterm Polizeiband, während Tullys Augen weiter von Fenster zu Fenster, Stockwerk zu Stockwerk wanderten.
    »Du hast zu viele sinnlose Statistiken gelesen.«
    Sein Blick verharrte beim zweiten Stock des Ziegelsteinbaus an der Ecke, denn er hätte schwören können, dass er ein Lichtblitzen im Fenster gesehen hatte. Aber war das von drinnen gekommen oder eine Spiegelung der Flammen?
    »Die Leiche liegt draußen, in der Gasse hinter einem Müllcontainer«, sagte Racine.
    »Draußen?«
    Das störte Tully. Bei den anderen Bränden hatte es keine Opfer gegeben. Eine Leiche war eine Steigerung, der nächste Schritt. Wenn das Feuer allein dem Täter nicht mehr den nötigen Kick brachte, begann er, bewohnte Ge bäude anzustecken. Aber wenn der Tote draußen lag, han delte es sich nicht um ein Zufallsopfer.
    »Jemand, der es zu spät rausgeschafft hat?«
    Sie schüttelte den Kopf und zog ein Notizbuch aus ihrer Tasche, in dem sie blätterte. Tully ließ seine Hand mit dem verkrumpelten Kassenbon in der Manteltasche. Wieso dachte er nie daran, ein Notizbuch mitzunehmen?
    »Die Leiche wurde bei einem separaten Notruf gemeldet«, sagte Racine, sobald sie ihre Notiz gefunden hatte.
    Tully blickte hinüber. Sogar ihre Handschrift war sauber und ordentlich, kein Gekrakel oder komische Abkürzungen wie bei ihm.
    »Der Anrufer meldete, dass eine – Zitat – Leiche beim Container liegt, der das halbe Gesicht fehlt.«
    »Beim Container? Nicht im Container?«
    Racine blätterte wieder in ihrem Notizbuch und kehrte dann zur vorherigen Seite zurück. »Nein, beim, nicht im. Der Brandmeister sagte mir, dass sie nicht verbrannt ist. Wir müssen warten, bis wir den Bereich betreten dürfen.«
    »Das ändert alles«, murmelte Tully.
    »Und ob.«
    Abermals standen sie schweigend nebeneinander und blickten sich um. Minuten vergingen. Hinter ihnen riefen sich die Feuerwehrleute Kommandos zu. Rußflöckchen mit glimmenden Rändern stoben durch die Luft und füllten den Nachthimmel. Beim letzten Brand hatte jemand gesagt, sie sähen aus wie Glühwürmchen, und kurz darauf fingen sie alle an, den Brandstifter so zu bezeichnen. Tully fand diesen Namen albern. Da hätten sie ihn genauso gut Feuerwanze nennen können.
    Racine brach das Schweigen.
    »Also glaubst du, dass das Schwein hier irgendwo ist, zuguckt und sich einen runterholt?«
    Genau das hatte Tully vorhin gedacht, nur war ihm inzwischen klar, dass es nicht so einfach sein konnte. Erst recht nicht, wenn der Kerl jetzt jemanden umgebracht hatte und sich nicht mal die Mühe machte, die Leiche zu verbrennen. Er sah Racine nach wie vor nicht an, lächelte aber. »Du hast zu viel Freud
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher