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Erloschen

Erloschen

Titel: Erloschen
Autoren: Alex Kava
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verschluckte. Gott sei Dank trug sie Socken.
    Maggie blickte weiter zur Fernseherecke, wo sie die Spiegelung nun in einem anderen Winkel sah. Sie erkannte seinen gekrümmten Rücken. Er guckte in ihren Kühlschrank. Lautlos nahm Maggie einen gläsernen Brief beschwerer vom Beistelltisch, kroch zur Tür und hielt sich in den Schatten vor der Wand.
    Was hast du mit meinen Hunden gemacht, du Schwein?
    Von Wut getrieben, schlich sie näher zur Tür.
    Von hier aus konnte sie ihn riechen. Er stank nach Rauch und verkohltem Holz. Also war es nicht ihr Albtraum, der ihr die Sinne verwirrte.
    Ohne sie zu bemerken, griff er in den Kühlschrank. Jetzt stand er mit dem Rücken zu ihr und war angreifbar. Maggie holte mit dem Briefbeschwerer aus, um ihn dem Kerl auf den Hinterkopf zu knallen, und stürmte durch die Tür. Der Mann erschrak, fuhr herum, und Maggie erstarrte mitten im Schwung.
    »Verflucht, Patrick, du hast mich zu Tode erschreckt!«
    »Das beruht auf Gegenseitigkeit.«
    »Ich hätte dir beinahe den Schädel eingeschlagen.«
    Ihr Bruder, der offenbar weiche Knie bekommen hatte, hockte sich auf den Boden. Im Licht des offenen Kühlschranks konnte Maggie verschmierten Ruß an seiner Stirn sehen. In einer Hand hielt er noch den Griff der Kühlschranktür.
    »Ich wollte dich nicht aufwecken«, erklärte er und richtete sich mühsam wieder auf. Er war Feuerwehrmann, jung und großartig in Form, und dennoch hatte Maggie es geschafft, ihn in dieses Häufchen Elend auf ihrem Küchenfußboden zu verwandeln.
    »Ich dachte, du kommst erst am Wochenende.«
    »Wir haben früher Schluss gemacht. Ich hätte wohl anrufen sollen«, sagte er und grinste zerknirscht. »Tut mir leid, ich muss mich erst daran gewöhnen, dass ich jemandem Bescheid geben muss.«
    Und Maggie musste sich daran gewöhnen, dass jemand bei ihr wohnte.
    Für sie beide war diese Situation neu. Maggie hatte ihrem Halbbruder angeboten, zu ihr zu ziehen, nachdem er im Dezember seinen Abschluss an der University of New Haven gemacht hatte. Mit seinem neuen Brandschutzdiplom in der Tasche wollte er zunächst Berufserfahrung sammeln und hatte einen Job als Feuerwehrmann bei einer privaten Sicherheitsfirma angenommen. Da das Unternehmen Auftraggeber in dreizehn Bundesstaaten hatte, war Patrick die meiste Zeit unterwegs und nutzte Maggies Haus als Anlaufstelle zwischen seinen Aufträgen.
    Erst in den letzten Jahren hatten sie voneinander erfahren. Maggies Mutter hatte die Untreue ihres Vaters mehr als zwanzig Jahre lang geheim gehalten. Ebenso hatte Patricks Mutter ihm nichts von seinem Vater erzählt – außer dass er als Held gestorben war. Mit keinem Wort war angedeutet worden, dass eine Schwester existierte, halb oder sonst wie. Es war eine stillschweigende Übereinkunft zwischen den beiden Frauen gewesen, nach dem der Mann plötzlich gestorben war, den sie beide liebten, und sie mit ihren Kindern allein dastanden.
    Folglich lernten die beiden vaterlosen Kinder, die mittlerweile erwachsen waren, erst jetzt, Geschwister zu sein.
    »Darf ich mir was von der Pizza nehmen?« Patrick zeigte auf den Karton im obersten Kühlschrankregal.
    »Bedien dich.«
    Maggie wusste, dass es nicht leicht werden würde. Sie war eine echte Einzelgängerin. Es gefiel ihr, allein zu leben – nein, mehr als das: Sie war unglaublich gern allein. Entsprechend war es nicht verwunderlich, dass Patrick und sie sich praktisch sofort zu fetzen begannen, kaum dass er bei ihr eingezogen war. Erstaunlich war einzig, dass es keineswegs um typische Geschwisterrivalität oder Territorialansprüche ging; auch nicht um Geld, Essen oder schmutzige Socken am falschen Platz. Wäre es doch nur so simpel!
    Nein, Maggie hatte etwas gegen Patricks Arbeitgeber. Sie hielt das Unternehmen mit Hauptsitz in Virginia für überaus fragwürdig und verstand nicht, wieso Patrick keine Probleme damit hatte.
    Braxton Protection verkaufte Luxusversicherungspolicen – den Cadillac unter den Versicherungen für reiche Hausbesitzer, die sich die Prämien leisten konnten. Und zum teuren Spezialschutz gehörte eine private Feuerwehr für Notfälle. Mit anderen Worten: Patrick war eine Art Söldner, nur eben mit einem Löschschlauch bewaffnet.
    Maggie wusste selbst nicht, warum sie nicht den Mund halten und so tun konnte, als wäre es ihr egal. Patrick wollte Erfahrungen sammeln, was doch nicht verkehrt war. Warum sollte er auf einer Feuerwache herumsitzen, bis ein Einsatz kam, wenn er sich direkt auf Großbrände stürzen
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