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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
Autoren: Henning Mankell
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lange Trosse wie eine zusammengerollte Schlange liegt.
    Hanna schüttelt den Kopf, beißt die Zähne zusammen und geht mit dem leeren Eimer in die Kombüse. Nein, sie wird nicht über die Reling klettern. Ihr Leben lang hat sie ausgeharrt, und das will sie auch weiterhin tun.
    In der Kombüse schlägt ihr noch größere Hitze entgegen. Es ist so heiß wie bei den Heizern tief unten im Maschinenraum, das weiß sie, obwohl sie nie da unten war. Frauen in der Nähe von Dampfkesseln und Feuer bedeuten Unglück.
    Für ältere Seeleute ist es überhaupt ein Unding, Frauen an Bord zu haben. Das bringt nicht nur Unheil, sondern auch Streit und Eifersucht unter den Männern. Als Forsman Hanna an Bord bringen wollte, war Kapitän Svartman trotzdem einverstanden. Der Kapitän hielt nicht viel von Aberglauben.
    Hanna nimmt ein Ei und schlägt es an der Pfanne auf, die Schale wirft sie in den Eimer. Dreißig lebende Seeleute sollen ihr Frühstück bekommen. Sie versucht, nur an die Eier zu denken, nicht an die bevorstehende Bestattung. Sie ist als Köchin an Bord, daran hat sich durch den Tod ihres Mannes nichts geändert.
    Es ist, wie es ist: Sie lebt. Aber Lundmark ist tot.

4
     
    Halvorsen kommt und bittet sie, ihm zu folgen. Kapitän Svartman wartet.
    »Wir werden die Tiefe ausloten«, sagt Halvorsen. »Reichen unsere Seile nicht, wählt der Kapitän einen anderen Platz.«
    Sie brät vier Eier in der Pfanne fertig und folgt ihm. Ein plötzlicher Schwindel bringt sie ins Wanken. Aber sie stürzt nicht, sie hält sich noch aufrecht.
    Kapitän Svartman stammt aus einer Familie mit einer langen ununterbrochenen Kette von Seeleuten, das weiß sie. Er ist sechzig, ein alter Mann. Ihm fehlt das letzte Glied am kleinen Finger einer Hand. Niemand weiß, ob es angeboren ist oder Folge eines Unfalls.
    Zweimal ist er mit einem Segelschiff untergegangen. Einmal wurde er mit der Besatzung gerettet, das andere Mal überlebte außer ihm nur der Schiffshund, aber nach der Bergung legte das Tier sich hin und starb.
    Hannas toter Mann war der Meinung, dass Kapitän Svartman eigentlich auch starb, zusammen mit dem Schiffshund. Nach der Katastrophe blieb der Kapitän viele Jahre an Land. Was genau er da tat, weiß niemand. Es heißt, er sei eine Zeitlang Schienenleger gewesen. Er habe dem Vortrupp angehört, den die staatliche Eisenbahn ausgeschickt hatte, um die Inlandsbahn abzustecken, über die sich der Schwedische Reichstag immer noch stritt.
    Dann kehrte er plötzlich zur See zurück, jetzt als Kapitän eines Dampfschiffs. Er gehörte zu den wenigen Menschen, die der Seefahrt mit dem Verschwinden der Segelschiffe nicht den Laufpass gaben, sondern mit der neuen Zeit gingen.
    Aber er sprach nie von den Jahren an Land, was er gearbeitet, was er gedacht hatte, nicht einmal davon, wo er gewohnt hatte.
    Er spricht selten ein überflüssiges Wort und glaubt nicht an die Fähigkeit des Menschen zuzuhören. Auch glaubt er nicht an die Zuverlässigkeit des Meeres. Lavendelblaue Blumen stehen in Töpfen in seiner Kajüte. Nur er selbst darf sie gießen.
    Jetzt wird der schweigsame Kapitän also die Tiefe bestimmen, in der einer seiner Steuermänner bestattet werden soll.
    Kapitän Svartman verbeugt sich vor Hanna, als sie zu ihm kommt. Trotz der Wärme trägt er seine Uniform. Die Knöpfe sind geschlossen, das Hemd ist gebügelt.
    Neben ihm steht Bootsmann Peltonen, ein Finne. Er hält ein Bleilot in der Hand, an einer langen, dünnen Leine befestigt.
    Kapitän Svartman nickt. Peltonen wirft das Lot über Bord und lässt es sinken. Die Leine gleitet zwischen seinen Fingern hindurch. Ein schwarzes Band ist an einem bestimmten Punkt an der Leine befestigt.
    »Hundert Meter«, sagt Peltonen.
    Er spricht schrill. Seine Stimme hallt, springt über die Dünung davon.
    Nach sieben schwarzen Bändern, 700 Metern, ist die Leine zu Ende. Das Bleilot hat den Grund noch nicht erreicht. Peltonen macht einen Knoten, der die Leine mit einer neuen Rolle verbindet. Auch hier sind alle hundert Meter schwarze Bänder befestigt.
    Bei 1935 Metern erschlafft die Leine. Das Lot hat den Boden erreicht. Hanna hat ein Grabmaß für ihren Mann bekommen.
    Peltonen holt die Leine ein, indem er sie um eine riesige Holzspule wickelt. Kapitän Svartman nimmt die Kapitänsmütze ab und wischt sich den Schweiß aus der Stirn. Dann schaut er auf die Uhr. Viertel vor sieben.
    »Um neun«, sagt er zu Hanna. »Bevor die Hitze zu drückend wird.«
    Sie geht in die Kajüte, die sie mit
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