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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
Autoren: Henning Mankell
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Kellner, Putzleute oder Kofferträger aufhalten konnten. Bestimmt enthält es eine unangenehme Geschichte. Verbrenn es, nimm es an einem richtig kalten Abend zum Heizen.«
    José Paulo ging mit dem Buch wieder auf sein Zimmer. Aber er verbrannte es nicht, ohne eigentlich zu wissen, warum. Stattdessen fand er ein neues Versteck. Unter dem Fensterbrett gab es einen Hohlraum, in dem er sein mühsam verdientes Geld aufbewahrte. Jetzt ließ er die wenigen schmutzigen Geldscheine mit dem schwarzen Notizbuch den Platz teilen.
    Er holte es nicht wieder hervor. Aber er vergaß es auch nicht.

 
    TEIL I
     
    Die Missionare verlassen
    das Schiff

1
     
    Wir schreiben das Jahr 1904. Eine erstickend heiße tropische Morgendämmerung.
    In diesem fernen Jetzt dümpelt ein Dampfer unter schwedischer Flagge in der sanften Dünung. An Bord befinden sich einunddreißig Besatzungsleute, darunter eine Frau. Sie heißt Hanna Lundmark, geborene Renström, und arbeitet als Köchin an Bord.
    Aber insgesamt hatten zweiunddreißig Personen die Reise nach Australien mit schwedischem Kernholz und Brettern für Saloonböden und die Wohnzimmer reicher Schafsfarmer angetreten.
    Einer der Besatzungsmänner ist kürzlich verstorben. Er war Steuermann und mit Hanna verheiratet.
    Er war jung und lebenslustig. Obwohl Kapitän Svartman ihn gewarnt hatte, ging er an Land, als sie in einem Wüstenhafen südlich von Suez Kohle bunkerten. Er fing sich ein tödliches Fieber ein, wie es an Afrikas Küsten grassiert.
    Als er erkannte, dass er sterben würde, begann er vor Angst zu brüllen.
    Zu keinem der Seeleute, die an seinem Sterbebett saßen, Kapitän Svartman und der Zimmermann Halvorsen, sagte er ein letztes Wort. Auch nicht zu Hanna, die nach einmonatiger Ehe Witwe werden sollte. Er starb schreiend und schließlich wimmernd vor Angst.
    Er hieß Lars Johan Jakob Antonius Lundmark. Hanna betrauert ihn, fast besinnungslos von dem, was geschehen ist.
    In der Morgendämmerung, am Tag nach seinem Tod, bewegt sich das Schiff kaum. Es hat beigedreht, da bald eine Seebestattung stattfinden wird. Kapitän Svartman will nicht warten. Sie haben kein Eis an Bord, um den Leichnam zu kühlen.
    Hanna steht am Heck, einen Abfalleimer in der Hand. Sie ist klein und hochbusig, hat freundliche Augen. Ihre braunen Haare sind im Nacken zu einem strengen Knoten geschlungen.
    Sie ist nicht schön. Aber auf merkwürdige Weise strahlt sie aus, dass sie ein durch und durch wahrhaftiger Mensch ist.
    Hier und jetzt. Hier befindet sie sich. Auf dem Meer, an Bord eines Dampfers mit zwei Schornsteinen. Beladen mit Holz, unterwegs nach Australien. Heimathafen: Sundsvall.
    Das Schiff heißt Lovisa . Es wurde in der Finnboda Werft in Stockholm gebaut. Aber der Heimathafen hat immer an der norrländischen Küste gelegen.
    Zunächst gehörte es einer Reederei in Gävle, die nach fehlgeschlagenen Spekulationen in Konkurs ging. Dann wurde es nach Sundsvall verkauft. In Gävle hieß es Matilda, nach der Frau des Reeders, die mit ungeschickten Fingern Klavier spielte. Jetzt heißt es Lovisa , nach der jüngsten Tochter des neuen Reeders.
    Einer der Teilhaber heißt Forsman. Er hat dafür gesorgt, dass Hanna Lundmark Arbeit an Bord bekam. Zu Hause bei Forsmans gibt es ein Klavier, aber niemand spielt darauf. Hingegen hört er zu, wenn der Klavierstimmer zu seinen regelmäßigen Besuchen kommt.
    Jetzt ist Steuermann Lars Johan Jakob Antonius Lundmark an einem rasenden Fieber gestorben.
    Es ist, als wäre die Dünung erstarrt. Das Schiff liegt da wie mit angehaltenem Atem.
    So stelle ich mir den Tod vor, denkt Hanna Lundmark. Eine plötzliche Stille, unerwartet, die von nirgendwo herkommt. Der Tod ist wie der Wind. Ein rascher Wechsel nach Lee.
    Ins Lee des Todes. Dann nichts mehr.

2
     
    In diesem Moment überfällt Hanna eine Erinnerung.
    An ihren Vater, an seine Stimme, die gegen Ende seines Lebens nur noch ein Flüstern war. Als verlangte er von ihr, alles, was er sagte, wie ein kostbares Geheimnis zu bewahren.
    Ein schmutziger Engel. Das ist es, was du bist.
    Das sagte er zu ihr, kurz bevor er starb. Es war, als wollte er ihr ein Geschenk machen, obwohl – oder gerade weil – er kaum etwas besaß.
    Hanna Renström, meine Tochter, du bist ein Engel, ein schmutziger, aber dennoch ein Engel.
    Woran erinnert sie sich eigentlich? Was genau waren seine Worte? Nannte er sie arm oder schmutzig ? Überließ er es ihr, zu wählen? Jetzt, da sie den Moment heraufbeschwört, glaubt sie, er habe sie
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