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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
Autoren: Henning Mankell
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darin, ein besorgtes Gesicht, das sie eigentlich nicht kannte. Dann schaute sie den Alten an, der im Bett lag und sie anstarrte, als wäre sie vom Himmel herabgestiegen.
    Sie erinnerte sich an die Worte ihres Vaters, die er ihr zugeflüstert hatte. Über den schmutzigen Engel. Hatte er recht gehabt?
    War es ein Engel, den der Alte vor sich zu sehen meinte? Oder eine verwirrte Magd vom fernen Fjäll?

12
     
    Jukka war ungeduldig. »Sprich jetzt mit dem Alten«, knurrte er. »Wir haben keine Zeit, nur dazustehen und zu glotzen.«
    Er riss das Fenster auf, das so lange geschlossen gewesen war, dass es sich fast nicht mehr öffnen ließ.
    »Hier stinkt es«, sagte er. »Bitterer Altmännergeruch. Die Erde hat schon begonnen, dich aufzufressen, ohne dass du es merkst. Dein Körper ist schon voller Würmer, die am Fleisch nagen.«
    Jukka sah Hanna auffordernd an. Sie ging zum Bett. Der Alte hatte Essensreste im Bart, das Nachthemd war verschwitzt und schmutzig. Sie sagte, wie sie hieß und wer ihr Vater und ihre Mutter waren. Der Alte schien es nicht zu verstehen, vielleicht konnte er es auch nicht hören. Sie wiederholte, was sie gesagt hatte, aber jetzt lauter.
    Zur Antwort hob er eine zitternde Hand. Hanna glaubte, er wolle sie grüßen. Aber die Hand zeigte aufs Fenster.
    »Ich friere«, sagte er. »Mach das Fenster zu.«
    Jukka, der am Fenster Wache hielt, tat einen Schritt nach vorn, als wollte er zum Angriff übergehen.
    »Es stinkt im Zimmer«, sagte er. »Es muss gelüftet werden. Aber weiß der Onkel, wer hier steht? Ist der Onkel mit ihr verwandt oder nicht? Wenn wir nur ein Ja oder ein Nein bekommen, gehen wir wieder.«
    Aber der Alte verstand nichts. Er begann, um Essen zu betteln, er war hungrig, niemand gab ihm mehr etwas.
    Hanna versuchte es noch einmal. Sagte abermals, wer sie war, und sprach lange von Elin. Aber das schien nicht zu helfen. Der alte Mann in dem schmutzigen Bett lebte in einer anderen Welt, in der alles, was zählte, sein Hunger war.
    »Wir gehen«, sagte Jukka »Es bringt nichts. Wir sprechen mit der Alten da unten. Vielleicht weiß sie etwas.«
    Hätte Hanna gekonnt, wäre sie aus dem Haus gerannt und wäre erst zu Hause bei Elin und den Geschwistern stehengeblieben. Es gab niemanden, der sie aufnehmen wollte, die Reise war vergeblich gewesen. Sie gehörte überhaupt nicht in die Stadt. Sie wurde nicht mal von einem alten, verwirrten Mann willkommen geheißen.
    Als Forsman von dem misslungenen Ausflug erfuhr, schalt er den eingeschüchterten Jukka. Hatte er nicht einmal klären können, wo die Leute geblieben waren? War das so schwer?
    Forsman beruhigte sich allmählich und sagte mit seiner gewohnten sanften Stimme zu Hanna, dass er sich jetzt selber der Nachforschungen annehmen würde. Sie solle sich keine Sorgen machen. Leute verschwanden nicht spurlos. Er würde bestimmt die Familie ausfindig machen, die sie treffen wollte.
    »Bis auf Weiteres bleibst du hier«, sagte er. »Du kannst dich im Haus nützlich machen. Hilf den anderen Mädchen!«
     
    Zwei Tage später hatte er eine Auskunft für sie. Hanna wurde in sein Büro gerufen, wo er hinter seinem Schreibtisch saß und auf einem Zigarrenstummel herumkaute.
    »Der Alte, den du getroffen hast, ist nur eine Art Untermieter«, sagte er. »Ihr seid nicht verwandt. Er kann da in seinem Bett bleiben, bis er stirbt. Dann übernehmen andere das Zimmer. Da soll eine ganze Stauerfamilie einziehen. Sie hoffen bestimmt, dass er möglichst bald stirbt, da die Familie momentan in einem Stall wohnt. Aber wohin die anderen gezogen sind, weiß niemand.«
    Er sah sie mit prüfenden Augen an. Sie verstand, dass sie Angst bekommen müsste, sträubte sich aber dagegen.
    »Ich denke, du kannst vorerst hierbleiben«, sagte Forsman. »Wir brauchen noch ein Mädchen im Haus.«
    Sie schloss die Augen, atmete aus. Ob vor Erleichterung oder Freude konnte sie nicht beurteilen. Sie versuchte, die Geräusche des Hauses und des Flusses heraufzubeschwören. Aber die Gedanken wurden von einem Karren unterbrochen, der auf der Straße vorbeirumpelte.
    Sie sagte still zu sich selbst: Irgendwo bin ich ja trotz allem angekommen.

13
     
    In der nächsten Zeit arbeitete sie mit Berta zusammen. Sie folgte ihr auf den Fersen, teilte ihre Pflichten und ließ sich in den wenigen freien Stunden von ihr die Stadt zeigen. Die meiste Zeit wurde dafür verwendet, die Kleider, Laken und Tücher des großen Haushalts zu waschen. Auf dem Innenhof des Steinhauses gab es eine Pumpe,
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