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Erdbeerkönigin

Erdbeerkönigin

Titel: Erdbeerkönigin
Autoren: Silke Schütze
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verscheuche die verwirrenden Gedanken und sehe mich nach dem Haus um, das mir der Anwalt beschrieben hat. Nach wenigen Minuten stehe ich tatsächlich vor einem Messingschild mit der Aufschrift »Münchmeyer, Rottmann & Steinhausen, Rechtsanwälte«. Im Hausflur ist es angenehm kühl.
     
    Die Kanzlei befindet sich in einer mittelgroßen Altbauwohnung, in der Hubertus Münchmeyer mit zwei anderen Anwälten und einer streng wirkenden Sekretärin arbeitet.
    Münchmeyer ist Mitte vierzig, ein sportlicher Mann mit früh ergrautem, vollem Haar. Er verzieht keine Miene, als er meine große Tasche sieht, und bittet mich in sein Büro. »Sie bleiben länger in Hamburg?«
    Das habe ich mir noch nicht überlegt. Also zucke ich die Achseln. »Ich wollte mir erst einmal einen Überblick verschaffen.«
    Hubertus Münchmeyer nickt verständnisvoll. »Natürlich, Frau Brandt. Sie hatten keinen Kontakt mit Herrn Eisenthuer?«
    Ich schüttle den Kopf. »Nein. Ich habe ihn nur einmal in meinem Leben getroffen, und das ist Jahre her. Woran ist Daniel denn gestorben? Woher haben Sie meine Adresse? Und warum soll ausgerechnet ich seine Grabrede halten?«
    Münchmeyer zieht sich einen Stuhl neben meinen. »Das sind viele Fragen, Frau Brandt. Gestorben ist Daniel an Krebs. Er wusste es schon eine Weile, aber dann ging es am Ende doch schneller, als wir alle gedacht hatten.«
    Wir schweigen kurz. Während Münchmeyer mir Kaffee einschenkt, erzählt er, dass er seit Jahren mit Daniel Eisenthuer befreundet war. »Wir haben uns schon als Studenten kennengelernt.«
    »Sie haben auch Malerei studiert?«
    Münchmeyer stutzt. »Nein, ich bin Jurist. Aber ich habe mich schon früh für Urheberrechte interessiert. Da landet man schnell beim Medienrecht – heute bin ich spezialisiert auf Kunstrecht. Diese Ausrichtung gab es damals noch gar nicht, aber im Zuge meines Hauptstudiums habe ich zwei Semester Kunstgeschichte belegt und war mit Daniel in einer Arbeitsgruppe – und so haben wir uns getroffen.«
    »Ich dachte, Daniel wollte Maler werden.«
    Münchmeyer runzelt die Stirn. »Das wissen Sie?«
    Es entsteht eine etwas unbehagliche Pause. Als ob ich mich in etwas eingemischt habe, das mich nichts angeht. Münchmeyer war offensichtlich eng mit Daniel befreundet. Er muss ihn viel besser gekannt haben als ich. Schnell frage ich: »Wann ist die Urnenbeisetzung?«
    Münchmeyer sieht in seinen Kalender. »In zwei Wochen.«
    »In zwei Wochen!«
    Der Anwalt mustert mich aufmerksam. »Es gab noch einiges zu klären. Sind Sie in zwei Wochen verhindert?«
    Ich verneine und sehe Münchmeyer an. »Jetzt weiß ich gar nicht genau, was ich machen soll. Ich habe mich nach Eintreffen Ihres Schreibens sofort auf den Weg gemacht. Inzwischen erscheint mir das ein wenig unüberlegt. Zumal ich gar nicht weiß, ob ich diese Grabrede halten will. Und kann.«
    Ich vermag nicht zu verhindern, dass meine Stimme etwas zittert. Wie immer, wenn ich nervös und unsicher bin. Aber während ich noch spreche, spüre ich, dass meine Nervosität auf einmal verfliegt. Ich bin in Hamburg. Mir fällt die Verheißung des morgendlichen Gartens ein, meine nackten Füße im Gras, und ich schüttle meine Bedenken ab. Warum bleibe ich nicht hier? Was zieht mich nach Hause? Meine Vertraute, die unzuverlässige Kaffeemaschine? Ich muss nur ein paar Dinge regeln. Wieder denke ich an das Mädchen im Regenbogen und an diese Stadt, die ich bisher nur ein einziges Mal erkundet habe. Mit Daniel. Und dann sage ich: »Können Sie mir ein günstiges Hotel empfehlen?«
    Münchmeyer nickt. »Sie wollen bleiben? Das ist eine gute Idee. Hamburg ist im Juni wunderschön.«
    Bevor ich nachdenken kann, falle ich ihm ins Wort: »Ich weiß.«
    »Sie wissen?« Er lächelt, runzelt die Stirn, entscheidet sich dann aber, nicht nachzufragen, und fährt fort: »Ein Hotel für Sie zu finden dürfte kein Problem sein. Nur …« Er verstummt unschlüssig.
    »Nur?«, wiederhole ich.
    Münchmeyer stützt sein Kinn in die rechte Hand. »Mir ist gerade eine vielleicht ungewöhnliche Idee gekommen.« Er sieht mich so intensiv an, dass ich mich wie auf dem Prüfstand fühle. Aber die Prüfung fällt wohl positiv aus, denn Münchmeyer lächelt mich so freundlich an, dass seine Mundwinkel fast aus dem Gesicht rutschen.
    »Was halten Sie davon, in Daniels Wohnung zu bleiben? Sie ist noch nicht ausgeräumt. Wir, also Daniels Freunde, haben alle sehr viel zu tun, wir haben es noch nicht geschafft.« Er fährt sich über die
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