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Erdbeerkönigin

Erdbeerkönigin

Titel: Erdbeerkönigin
Autoren: Silke Schütze
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Augen, und zum ersten Mal wird mir klar, dass er einen großen Verlust erlitten hat. Er hat einen Freund verloren.
    »Und jetzt soll ich Ihnen dabei helfen?«
    Münchmeyer schüttelt den Kopf. »Nein, das machen wir schon selbst. Aber die Wohnung wird gerade nicht benutzt, und Sie suchen ein Dach über dem Kopf. Außerdem wäre es vielleicht interessant für Sie. Was meinen Sie?«
    »Interessant?«
    Münchmeyer nickt wieder. »Daniel hat in den letzten Monaten immer wieder von Ihnen gesprochen, Eva.«
    Er sieht mich abermals intensiv an. Dann räuspert er sich und sagt: »Er muss Ihnen doch recht fremd sein. Vielleicht hilft Ihnen der Aufenthalt bei der Entscheidung, ob Sie die Grabrede tatsächlich halten wollen.«
    Er legt seine Hände vor sich auf den Schreibtisch, als ob er einen Schlussstrich ziehen würde. Ihm scheint seine Idee sehr zu gefallen. »Soll ich Sie gleich in die Wohnung hinüberfahren?«
    Mir fällt mein fast leerer Akku ein und ich frage, ob ich kurz telefonieren darf.
    So kurz wird das Gespräch dann doch nicht. Erst rufe ich im Krankenhaus an, wo ich zweimal im Monat die Nachtschicht übernehme. »Och, Eva – dann muss ich jetzt die Bereitschaft völlig neu planen«, meckert Olaf. Ich habe mit Olaf damals die Ausbildung gemacht, doch seit er in die Leitung aufgestiegen ist, spielt er sich sehr auf. Aber ich versuche es heute mit Charme. »Olli, bitte, das schaffst du schon!« Danach rufe ich Antje an, die wie ich ehrenamtlich im Pflegeheim arbeitet. »Ich brauche dringend deine Hilfe. Könntest du auf dem Weg ins Heim bei uns zu Hause vorbeifahren? Benny müsste da sein und kann dich reinlassen. Ich habe Frau Stölken dieses Buch mit Sommergeschichten besorgt, das sie gern haben wollte. Es liegt auf dem Schränkchen im Flur.« Der letzte Anruf gilt Gaby, einer Hobbyköchin, die im Gemeindehaus der Kreisstadt einen Kochkurs für Hartz- IV -Empfänger leitet. Ich betreue dabei die Kinder. Auch Gaby ist nicht erbaut. »Aber so schnell bekomme ich doch keinen Ersatz für dich!«, jammert sie in den Hörer. Mir kommt ein Geistesblitz, denn vor einigen Tagen habe ich Gabys Mutter, eine pensionierte Grundschullehrerin, im Supermarkt getroffen, und sie hat mir erzählt, dass ihr manches Mal die Decke auf den Kopf fällt. Also schlage ich Gaby vor: »Frag doch deine Mutter!« Nach einem verblüfften Schweigen entfährt es Gaby: »Klar, du hast recht. Wieso bin ich nicht selbst drauf gekommen?«
     
    Dann bin ich bereit. In seinem großen Audi bringt mich Münchmeyer nach Eppendorf in die Isestraße, die er als eine der beliebtesten Wohngegenden der Stadt beschreibt.
    »Leider ziemlich teuer«, sagt er, als er in die breite Straße einbiegt, durch die der Länge nach die U-Bahn auf einer Hochbahnbrücke fährt.
    »Ist das nicht sehr laut?«, frage ich skeptisch.
    Münchmeyer lacht überrascht auf. »In ein paar Tagen hören Sie das gar nicht mehr.« Er hält an und holt meine Tasche aus dem Kofferraum. Das Treppenhaus ist hoch und mit nachgedunkeltem Holz vertäfelt, die Decken sind weiß gestrichen. Auf den Stufen liegt ein roter Sisalläufer, der mit goldenen Messingstäben fixiert ist. Es riecht anheimelnd sauber nach einem sanften Reinigungsmittel und Holz. Ein Geruch, der mich ein wenig an ein Museum erinnert. Und an meine Ausbildung in Hannover, wo ich in einer WG wohnte. Sie war auch in einem alten, großen Haus mit vielen Einheiten. Das Zusammenleben mit den Nachbarn, die vielen Auseinandersetzungen wegen zu lauter Musik und unseren Partys kommen mir in den Sinn, und ich muss grinsen. Wie lange ist das alles her und in der Ruhe unseres gemütlichen Hauses in Bienenholz gar nicht mehr vorstellbar. »Guten Tag«, grüßt ein Paar höflich, das in dunklen Business-Anzügen und mit Schultertaschen aus Leder aus einem oberen Stockwerk kommt.
    »Ihr Telefonat vorhin – Sie sind ja sehr beschäftigt«, sagt Münchmeyer, als er mir die Wohnungstür im dritten Stock aufschließt. Ich sehe ihn erstaunt an. »Finden Sie?« Will er – der erfolgreiche Anwalt mit großer Kanzlei – mich auf den Arm nehmen? Aber nein, er schaut mich aufrichtig bewundernd an und sagt anerkennend: »Allerdings. Sie klangen vorhin wie eine Managerin. Oder zumindest wie jemand aus der Personalabteilung.«
    Während ich ein wenig nach Luft schnappe, hat ihn der Aufstieg kaum angestrengt. Mit schlechtem Gewissen denke ich daran, wie lange es her ist, dass ich zum Sport gegangen bin oder meine Laufschuhe angezogen habe. Für
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