Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Equinox

Equinox

Titel: Equinox
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
einen, bis auch der letzte schlurfende Schritt und schnatternde Satz im Gang verklungen war. »Weiter.«
     
    »Hm«, machte Jochen, nachdem er das Klebeband mit beispielloser Kaltblütigkeit und ins Mark gehenden Reißgeräuschen von Haupt und Haar unseres (vorläufigen, bis zum Entscheid über ein besseres Versteck) Untermieters gerupft hatte, und stellte den Kopf auf den Spiegel, was einen perversen Janus schuf, »wenn man genau hinnsieht, seid ihr euch ga-harnichtmal unnunähnlich.«
    »Unsinn«, sagte ich und zog mit fliegenden Fingern die Naht des Sacks bis unten hin auf. »Oder habe ich etwa graue Schläfen?«
    »Nein. Stimmt. Doch davon ein-einmal abgesehn …« Mein Kollege fuhr dem Stewardkopf mit der einen Hand durch die Frisur, während er sich mit der anderen die Flasche an den Hals führte. »… könntet ihr Brüder sein. Zwi-hilllinnge.«
    »Red keinen Scheiß«, fuhr ich ihn an, irritiert über diesen Vergleich und unwillig, die Behauptung auch nur in Betracht zu ziehen, und wälzte den Leichnam von Planke und Leinen. »Hilf mir mal lieber.«
    Einen ebenso großen wie überraschend schweren Sack Reis nahmen wir für den Torso. Je zwei Mortadellas und Salamis für die Arme. Drei Schlangengurken im Tapeverband und man hatte einen Ober-, zwei Gurken und fertig war ein Unterschenkel.
    Wir hatten unseren gesamten hochgetürmten Einkaufswagen voll Leergut in die Kabine des Pianisten kippen müssen, um das Baumaterial in einer einzigen Fuhre aus der Kühlkammer hierher holen zu können. Das Ergebnis wirkte jetzt, bei näherer Betrachtung, als ob wir die Fische trotz allem nicht um ihre versprochene Mahlzeit bringen wollten.
    »Scheiße, wir haben den Kopf vergessen«, fiel mir auf. Und die Zeit lief uns davon.
    »Und die Füße«, fügte Jochen hinzu.
    »Lauf rasch noch mal und besorge uns den dicksten Weißkohl oder was dir sonst in die Flossen fällt. Und beeil dich!«
    »Und für die Füße?«
    »Da fällt mir schon was ein. Nu mach!«
    Ich hatte die Naht schon bis zum Brustkorb wieder hochgezogen, als Jochen das verabredete Klopfzeichen an der Tür gab. Rasch ließ ich ihn ein.
    »Wirsing«, meinte er und zeigte mir seine lappig-blättrige Beute, »und für die Nase hab ich auch was gefunden.«
    »Jochen«, sagte ich streng, nahm die Mohrrübe an mich und biss ein Stück ab, »ob du’s glaubst oder nicht, aber wir bauen hier keinen Schneemann.«
    Im Endeffekt war dann doch noch fast eine Stunde Zeit, als wir die Steward-Leichen-Attrappe von unserem Einkaufswagen wuchteten und in ihr Kühlregal schoben.
    Die äußere Form und auch das Gewicht hatten wir einigermaßen hinbekommen, versicherte ich mir selbst. Doch, gute Arbeit, beruhigte ich mich. Mit ein bisschen Glück wird niemand was merken.
    »Womit hast du eigentlich die Füße gemacht?«, wollte Jochen noch wissen.
    »Paar alte Treter«, antwortete ich ausweichend.
    »Hm«, machte Jochen, eine Hand am Griff der Klappe, die er unnötig langsam und, wie ich fand, übertrieben nachdenklich schloss. »Was mir gerade durch den Kopf geht«, sagte er, ein Gähnen unterdrückend, »ist dies: Wann stoppen wir eigentlich das nächste Mal in einem Hafen?«
    »In ein oder zwei Tagen«, schätzte ich. Hatte ich mir bis dahin noch keine Gedanken drum gemacht. Das Personal bekam sowieso nur in Ausnahmefällen Landgang.
    »Dann verrat mir doch mal«, meinte Jochen mit schräg gelegtem Kopf und diesem inquisitorischen Blick, eine Kombination, die ich so gar nicht an ihm mag, »abgesehen davon, wie wir ihn unbemerkt an Land schaffen wollen, nein, verrat mir erst mal, wie du gedenkst, unseren Kunden in unserer wohlgeheizten kleinen Kabine bis dahin frisch zu halten?«
    »Aäähh«, begann ich.
     
    Immer wenn man es am nötigsten braucht, wenn scharfes Denken und schneidige Reaktionen gefragt sind, verlässt einen das Zeugs einfach.
    Immerhin war ich auf dem Weg zurück zu unserer Kabine noch geistesgegenwärtig genug gewesen, zwei große schwarze Müllbeutel mitgehen zu lassen. Beide waren nicht wirklich leer, vor allem der aus der Personal-Damentoilette nicht, doch irgendwie kamen wir unweigerlich wieder an der Tür dieses fingerfertigen Entertainers vorbei, dessen Schicht in der Piano-Lounge erst gegen sechs am Morgen endete. Und Borddetektive haben selbstverständlich Generalschlüssel.
     
    »Nun pack den Kopf schon dazu!«, fuhr ich Jochen an und dann mit dem gerollten Schein über den Spiegel. Ich wollte dabei sein, wenn sie den Sack über Bord warfen, und in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher