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Enwor 9 - Das vergessene Heer

Enwor 9 - Das vergessene Heer

Titel: Enwor 9 - Das vergessene Heer
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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das Nahen sehr vieler Reiter verriet. Er hätte viel darum gegeben, an der Wand hinaufklettern zu können, um die Ankunft der Krieger zu beobachten, aber nur mit einer Hand und schwach, wie er war, erwies sich das als unmöglich. Außerdem hatte er Titchs Warnung nicht vergessen. Seine Rolle als halb verhungerter Gefangener hätte enorm an Glaubwürdigkeit eingebüßt, hätte man ihn in drei Metern Höhe unter der Decke klebend vorgefunden.
    Und er hatte auch gar nicht mehr die Energie dazu. Dieses Verlies und vor allem das, was es bedeutete, hatten ihn erschüttert. Kiinas Worte hatten… alles zerstört. Er wußte nicht, ob er jemals wieder Vertrauen zu Titch würde haben können, ob er es jemals wieder über sich bringen würde, ihm in die Augen zu sehen. Er hatte versucht, den Quorrl zu hassen; zumindest Zorn auf ihn zu empfinden, aber nicht einmal das konnte er. Dabei waren es nicht einmal die bloßen Tatsachen selbst, die ihn so erschütterten. Kannibalismus war ihm nicht fremd; er war im Laufe seines Lebens auf mehr als ein Volk gestoßen, das Menschenfleisch aß, und unter ihnen waren auch
Menschen
gewesen. Was es so schlimm machte, was ihn nicht einfach nur erschütterte, sondern wirklich
weh
tat, war der Umstand, daß Titch es ihm nicht gesagt hatte.
    Zumindest begriff er jetzt, warum die Quorrl auf Crons Hof so wenig Notiz von ihm genommen hatten. Der Anblick eines Menschen war nichts Besonderes für sie. Sein Geschmack wahrscheinlich auch nicht.
    »Was sind das für Männer?« fragte Kiina, als der Hufschlag näher kam und den ganzen Hof über ihnen wie dröhnender Donner auszufüllen schien. Sie sah zum Fenster hoch. »Krieger, die uns suchen?«
    Skar schüttelte langsam den Kopf. Er hatte über Titchs Worte nachgedacht, und trotz der Verbitterung, die er beim bloßen Gedanken an den Quorrl verspürte, glaubte er ihm. »Nein«, sagte er. »Jedenfalls nicht nur. Etwas geht hier vor.«
    Kiina lachte rauh. »Was für eine tiefschürfende Erkenntnis, Satai.«
    »Ich meine es ernst«, antwortete Skar. »Es ist nicht nur das hier. Irgend etwas… geschieht in diesem Land. Etwas Entsetzliches.« Und es war längst nicht nur die Desertation von Titchs Kriegern. Er hatte dieses Land nie zuvor gesehen, bis vor wenigen Tagen nicht einmal seinen Namen gewußt, und doch spürte er, daß die furchtbare Veränderung, die von ganz Enwor Besitz ergriffen hatte, auch vor den Grenzen Cants nicht Halt gemacht hatte. Etwas geschah in diesem Land, und jede lebende Kreatur mußte es spüren.
    »Titch hat Angst«, sagte Kiina leise. Skar sah sie fragend an.
    »Er hat Angst, seit wir Cant erreicht haben«, fügte sie hinzu.
    »Hat er dir das gesagt?«
    »Ich weiß es«, antwortete Kiina. »Ich spüre, wenn jemand Angst hat. Du hast auch Angst. Aber aus anderen Gründen als Titch.«
    Skar antwortete nicht darauf. Sie hatten überhaupt wenig gesprochen in der letzten Stunde; was nicht zuletzt daran gelegen hatte, daß Kiina viel zu erschöpft gewesen war, um zu reden.
    Skar hatte sich neben sie gesetzt und die Gefangenen im Auge behalten, die in respektvollem Abstand zu Kiina und ihm auf dem Boden hockten, und sie hatte den Kopf an seine Schulter gelehnt und war in einen unruhigen, fiebernden Schlaf gesunken, aus dem sie immer wieder hochgeschreckt war.
    »Was wirst du tun, wenn du hier heraus bist?« fragte Kiina plötzlich.
    »Wir«, verbesserte Skar. »Es muß heißen — was werden
wir
tun, wenn
wir
hier heraus sind.«
    »Wir?« Kiinas Lippen verzogen sich zu der schwachen Karikatur eines Lächelns. »Ich glaube nicht, daß ich es schaffe«, sagte sie. »Ich bin so…«
    »Müde?« schlug Skar vor. »Das ist kein Wunder, nach dem, was du mitgemacht hast. Cron wird dafür bezahlen.«
    »Das ist es nicht«, antwortete Kiina. »Ich fühle mich schlecht, Skar. Nicht erst seit zwei Tagen. Ich weiß nicht, was es ist. Ich bin… manchmal habe ich das Gefühl, innerlich zu brennen.«
    »Der Weg hierher war sehr anstrengend«, sagte er. »Du bist kein Satai.« Er hätte ihr sagen können, was der
wirkliche
Grund für ihre Schwäche war, das verzehrende Feuer, das noch immer in ihr loderte und sie töten würde, wenn es ihnen nicht gelang, das Heilige Wasser der Quorrl zu erreichen. Aber er tat es nicht. Kiina mochte die Wahrheit ahnen, aber solange sie sie nicht wirklich
wußte,
bestand auch nicht die Gefahr, daß sie verzweifelte und einfach aufgab. Wer war er, ihr diese barmherzige Lüge zu verwehren?
    »Du hast darauf bestanden,
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