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Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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machte jede Unter- haltung von vornherein unmöglich. Sie hatten die Pferde und sich selbst an den eisernen Ringen, die in die Stämme des Floßes genagelt worden waren, festgebunden, um nicht abgeworfen und in den Fluß geschleudert zu werden, aber die Fahrt verlief ruhiger, als Skar angenommen hatte. Das Floß schien kaum ins Wasser einzutauchen, sondern wie ein flach geworfener Stein über die Oberfläche des Flusses zu schießen.
    Skar hob resignierend die Schultern und trat neben ihm auf das Floß. Er fror plötzlich.
    Nach einer Weile nahm die Geschwindigkeit der Strömung merklich ab, und Skar vermutete, daß der unterirdische Fluß hier breiter oder tiefer wurde. Er setzte sich vorsichtig auf, lockerte den Strick um seine Hüfte ein wenig und versuchte, in der pechschwarzen Finsternis vor ihnen irgend etwas zu sehen. Irgendwo, sehr weit vor ihnen, schien ein trüber grauer Fleck in der Dunkelheit zu schwimmen. Er blinzelte, fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen und blinzelte noch einmal. Aber er konnte trotzdem nicht mehr erkennen. Seine Augen schmerzten, und sein Herz begann plötzlich und völlig grundlos rasend schnell zu hämmern.
    Er tastete, von einer plötzlichen, sinnlosen Angst erfüllt, um sich und berührte eine Hand. Eine schmale, zartgliedrige Hand, sanfte Finger, benetzt mit eisiger Feuchtigkeit und trotzdem auf sonderbare Weise warm und beschützend. Coars Hand. Die Berührung hatte etwas ungemein Beruhigendes. Er drückte sie, kurz und so fest, daß es sie schmerzen mußte, und ließ sich dann wieder zurücksinken. Seine Furcht war verschwunden. Die kurze, flüchtige Berührung hatte gereicht, seine Angst zu vertreiben und ihn im Gegenteil mit einer tiefen, wohltuenden Ruhe zu erfüllen. Was immer auch geschehen mochte, wohin immer dieser Fluß und Seshar sie bringen würden — er wußte plötzlich, daß es sich gelohnt hatte; wenigstens für ihn.
    Der graue Schimmer vor ihnen wurde allmählich zu einem verwaschenen Kreis, und ein neues Geräusch mischte sich in das Dröhnen des Flusses: ein tiefes, grollendes Donnern, ein Laut wie von einem mächtigen, weit entfernten Wasserfall. Die Strömung nahm weiter ab, und das Floß wurde langsamer, begann aber gleichzeitig zu bocken und zu schütteln. Skar setzte sich wieder auf und griff haltsuchend nach dem eisernen Ring neben seiner Hüfte. Ein kurzer, heftiger Schlag ließ das Floß erbeben. Eine eisige Welle spülte über seinen Rand und durchnäßte Skar. Das Floß zitterte, legte sich in eine unsichtbare Kurve und kam mit einem berstenden Schlag in die Waagerechte zurück. Die Pferde begannen unruhig zu werden und zu stampfen. Jemand schrie.
    Skar klammerte sich verzweifelt fest und wartete darauf, daß das Schütteln und Beben aufhörte, aber es wurde im Gegenteil noch schlimmer. Das Licht vor ihnen begann wie irr auf und ab zu hüpfen, und Welle auf Welle überspülte das Deck, durchtränkte ihn mit eisiger, klammer Nässe und ließ ihn keuchend nach Atem ringen. Eines der Pferde riß sich los, stieg, kreischend vor Panik, auf die Hinterläufe und stürzte in den Fluß. Die Strömung drückte es in Sekundenschnelle unter die Wasseroberfläche und riß es davon. Skar bäumte sich auf. Ein schmerzhafter Schlag traf seinen Rücken und trieb ihm die Luft aus den Lungen. Er schrie, schluckte Wasser und griff in sinnloser Panik um sich. Seine Hände scharrten verzweifelt über die rauhen Balken, versuchten sich festzuklammern und glitten ab. Seine Fingernägel brachen. Ein ganzer Hagel dumpfer, dröhnender Schläge traf das Floß und ließ es in seinen Grundfesten erbeben.
    Und dann war es vorbei.
    Das Floß erzitterte unter einem letzten, fürchterlichen Aufprall, schoß in die Flußmitte hinaus und kam dann schaukelnd zur Ruhe.
    Skar blieb sekundenlang auf dem Rücken liegen und schnappte verzweifelt nach Luft. Sein Schädel dröhnte, als würde hinter seiner Stirn ununterbrochen ein gigantischer Gong anschlagen, und jeder einzelne Schlag seines Herzens schickte einen schmerzhaften Stich durch seinen Leib. Neben ihm stöhnte jemand, aber das Geräusch schien nur wie durch eine dichte, dämpfende Nebelwand an sein Bewußtsein zu dringen.
    Skar hob schützend die Hand vor die Augen, wälzte sich auf den Bauch und stemmte sich hoch.
    Es war hell; ein trübes, graues Licht, das ihm nach der stundenlangen Dunkelheit unerträglich grell und schmerzhaft vorkam. Das Floß war nur noch ein Wrack. Das Heck hatte sich in ein einziges Gewirr
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