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Entscheide dich, sagt die Liebe

Entscheide dich, sagt die Liebe

Titel: Entscheide dich, sagt die Liebe
Autoren: Siri Goldberg
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fordernder. Während der fünfte Finger ihrer Rechten die klagende Melodie aus den Tasten lockte, hörte sie Vincenzo zur Tür gehen, aufsperren und »Wir haben schon geschlossen« raunen.
    Eine andere Stimme raunte zurück, Clara konnte nicht verstehen, was sie sagte. Doch offensichtlich ließ Vincenzo – die Gutmütigkeit in Person – sich dazu überreden, den späten Gast hereinzulassen. Dem Klang der Schritte zufolge mussten es sogar zwei Gäste sein. Stühle wurden gerückt, Gläser klirrten, Flüssigkeit gluckerte.
    Unbeirrt spielte Clara weiter. Hinter ihrem Rücken wurde geflüstert, Vincenzo brummte zurück. Dann kehrte endlich Ruhe ein, bis Clara die letzten Takte erreicht hatte. Noch ehe die Schlussakkorde verklungen waren, stand Vincenzo neben ihr, legte seine Hand auf ihre Schulter und bat sie um einen Gefallen. »Ich weiß, es ist spät. Wärst du trotzdem so nett und würdest noch Misty für unsere letzten Gäste spielen?«
    Clara nickte. Vincenzo hatte so viel für sie getan, natürlich würde sie seinen Wunsch erfüllen, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie drehte den Kopf, aber seine breite Gestalt versperrte ihr die Sicht auf die Neuankömmlinge. » Misty? Kein Problem. Vielleicht in einer bestimmten Tonart?« Die Frage war ironisch gemeint, und sie konnte sie sich nicht verkneifen, weil sie Leute, die zu spät kamen und dann noch Extrawürste verlangten, unverschämt fand.
    »In Es«, antwortete eine Männerstimme, die Clara bekannt vorkam. Wieder wollte sie sich umdrehen, doch ihre Linke hatte schon mit den ersten Akkorden begonnen. Also zügelte sie ihre Neugier und konzentrierte sich auf den Song.
    »Look at me«, setzte eine tiefe Baritonstimme ein, gerade als ihre Rechte beginnen wollte, das Thema zu spielen. Also gut, ein Sänger, der nur begleitet werden wollte. Kein Profi, das hörte sie sofort. Zumindest traf er die Töne und seine Stimme klang zwar rau und etwas hauchig, aber sie war von einer seltsamen Wärme durchzogen.
    »I’m as helpless as a kitten up a tree«, sang er weiter und kam dabei immer näher, bis sie fühlte, dass er direkt hinter ihr stand. Etwas Eisiges rieselte ihren Rücken hinunter.
    »And I feel like I’m clinging to a cloud, I can’t understand I get misty just holding your hand.«
    An der Gänsehaut, die ihre Arme überzog, und an der plötzlichen Schwäche in ihren Knochen erkannte sie, wer hinter ihr stand, aber sie konnte es nicht glauben. Sie riskierte einen Seitenblick nach rechts. Und ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sie eine Puppe erblickte. Sie war zwei Handspannen groß, trug eine schwarze Halbmaske und bunte Flickenhosen. Ein typischer Arlecchino, die Harlekin-Figur aus der Commedia dell’Arte, bewegt von unzähligen beinahe unsichtbaren Fäden. Er sprang auf die Tastatur, als jagte er Claras Rechte, dann verharrte er, und seine beweglichen Hände fassten theatralisch an sein Herz.
    Clara fühlte einen Stich in der Brust. Sie hatte sich also nicht getäuscht. Er war da. Daniele. Er hatte es gewagt, hierherzukommen und seine Puppen tanzen zu lassen. Wollte er sich über sie lustig machen? Sie spürte Wut hochkochen, hatte Lust, aufzuhören und den Klavierdeckel zuzuknallen. Aber ihre Hände folgten der Musik, nicht ihrem Zorn. Mechanisch bewegten sie sich weiter über die Tasten und griffen wie von selbst die richtigen Akkorde.
    »Walk my way«, sang die Stimme plötzlich im Falsett. Und von links hüpfte eine zweite Marionette auf die Tastatur. Das musste Colombine sein. Sie trug ein weißes Rüschenkleid, ihr Haar war weißblond und zu einem dicken Zopf geflochten. Eine Colombine also, die wie Clara aussah und mit ihren beweglichen Fingern Klavier spielen konnte. Allerdings produzierte sie falsche Basstöne, die nicht zur Tonart passten.
    »And a thousand violins begin to play.« Der Arlecchino fiedelte auf einer Luftgeige, dass es eine Freude war. Er saß jetzt auf dem rechten Kerzenleuchter des Wandklaviers. Colombine sprang auf das linke Gegenstück und klimperte mit den Wimpern. Im Hintergrund wurde gelacht.
    Clara unterschied Vincenzos Stimme und das silbrige Lachen einer Frau. Sie spielte den Song bis zum Ende. Als die Baritonstimme »I’m too misty and too much in love« sang, warf Colombine sich in die Arme des Arlecchino und die beiden küssten einander. Endlich konnte Clara ihre Hände von den Tasten reißen. Sie wirbelte herum.
    Vincenzo und seine Mutter klatschten. Und eine schöne junge Frau – es war dieselbe, die Clara mit
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