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Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Titel: Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
Autoren: Sonia Mikich
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T. da, zählt alle Fakten auf. Eine Bauchfellentzündung, eine fibrinös-eitrige Peritonitis – ist das nun ein Schicksalsschlag, ein Handwerksfehler oder mein persönliches Defizit? Waren die Operierenden Retter oder Pfuscher? Dazu höre ich keine Einschätzung. Aber sehen und fühlen kann ich noch: zwei ableitende Schläuche für Wundflüssigkeit, ein Urinbeutel, eine Infusion mit Nährlösung, eine mit Antibiotika. Und ein künstlicher Darmausgang. Stoma, anus praeter , Bauchafter. Ich taufe das Ding shit bag .
    Den haben Sie jetzt die nächsten sechs bis acht Wochen, kann aber auch ein halbes Jahr werden.
    Eine bildhübsche, liebe Krankenschwester ist mein Coach für die unaussprechlichen Dinge. Sie legt die Öffnung an der Bauchdecke frei, die ist so groß wie eine Zwei-Euro-Münze und rosig durchblutet – Darmgewebe. Es pulsiert kaum wahrnehmbar. Wahrscheinlich euphorisieren mich Betäubungsmittelreste, ich bin völlig hingerissen und schwärme der verdatterten Schwester vom Wunder der Natur vor. Sie pappt mir einen Plastikbeutel an die Bauchdecke. Die schönen Prospekte der Stomabeutel-Firma lehren mich, dass ich mit dem shit bag schwimmen und reisen kann. Für eventuellen Sex ( vorher das offene Gespräch mit dem Partner suchen! ) gibt es samtene Tarnbeutel, die sich angenehm an die Haut schmiegen sollen. Kamasutra ist freilich nicht empfehlenswert.
    Morgens, mittags, abends, nachts Tabletten, die ich nach wie vor schlecht vertrage. Darunter Oxycodon , ein Opiat. Und magenschonende Mittel. Und etwas zum Schleimabhusten, weil ich so schlecht Luft kriege. Und eine Einschlafhilfe. Und etwas gegen den Reflux. Irgendwann kotze ich eine ganze Pharma-Industrie heraus.
    Überhaupt, das Oxycodon will ich nicht. Als ich vor Jahren in den USA mein rechtes Bein mehrfach brach, wurde ich mit Oxycodon wochenlang stillgelegt. Hillbilly Heroin heißt es dort. Weil sich arme Weiße auf dem Land Oxycodon spritzen, 40 Dollar kostet eine Tablette auf dem Schwarzmarkt. Wunderbar euphorisierendes Zeug, nur macht es blitzfix süchtig. Ich verfiel in Depression, als ich es absetzte.
    Darum gibt es gegen die Schmerzen dann am Mittwoch ein weiteres … Schläuchlein, dieses Mal im Rücken. Auch bei dieser Therapie muss ich unterschreiben, dass ich korrekt aufgeklärt wurde, das Krankenhaus auf keinen Fall verantwortlich ist für Komplikationen und jeder Murks meine eigene Schuld ist – nur etwas vornehmer formuliert.
    Die möglichen Nebenwirkungen rauschen an mir vorbei: Infektionen, Kopfschmerzen, Nervenschäden, Lähmungen, äußerst selten Tod. Der Fragebogen, den ich ausfüllen muss, hat noch ein paar Warnungen zu bieten: Rückenschmerzen, Potenzstörungen und Hirnhautentzündung.
    Fußnote im Merkblatt: Wir führen hier auch extrem seltene Risiken und Komplikationen auf. Insgesamt gesehen ereignet sich bei zehntausenden Anästhesien nur ein folgenschwerer Anästhesiezwischenfall.
    Wie viel wert ist eine Statistik mit »zehntausenden Anästhesien«? In Deutschland wird im Jahr 15 Millionen Mal operiert.
    Der Katheter ist mit einer Pumpe verbunden, die Opioide freisetzt, und so kann ich mir selbst die Schmerzspitzen nehmen. Aber wieder gehöre ich zur Fünf-Prozent-Minderheit der »Komplikationen«: Zuerst streikt die Pumpe, dann bekomme ich Juckreiz im Rücken, tagelang rote Hautflecken im Gesicht. Wieder ein Schmerzmittel, das ich nicht vertrage und das abgeändert werden muss. Versuch und Irrtum. Mein Leib ist angewandte Empirie.
    Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie stark sind Ihre Schmerzen?
    Im Zimmer liegt ein Merkblatt aus, Schmerzen müssen nicht sein . Offenbar für das Qualitätsmanagement gedacht. Dazu gehört ein Benchmarkfragebogen .
    Sind Sie durch die Schmerzen in Ihrer Stimmung beeinträchtigt? Hätten Sie gewünscht, mehr Mittel gegen Schmerzen zu bekommen? Sind Sie durch die Schmerzen beim Husten beeinträchtigt?
    Kann sein, dass die Daten irgendwo abgelegt werden. Kann sein, dass irgendjemand sie irgendwann liest. Die Intensität wird angeblich mit einem Lineal (darauf eine visuelle Analogskala sowie eine numerische Analogskala ) ablesbar für das Personal. Zahlenschnickschnack, um Standardisierung möglich zu machen. Doch weder zwei bis drei noch fünf bis sechs beschreiben mein Körpergefühl annähernd getreu.
    Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie stark sind Ihre Schmerzen?
    Quantifizierung. Die Standards müssen minutiös festgehalten werden. Täglich notiert irgendein Pfleger die Schmerzintensität.
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