Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Enigma

Enigma

Titel: Enigma
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
haben…«
    Zwei Tage später hatte Jericho in seinem Postfach eine Nachricht vorgefunden. »Bitte kommen Sie heute abend auf ein Glas Sherry in meine Wohnung. F. J. Atwood.«
    Jericho drehte Turings Tür den Rücken zu. Er fühlte sich sehr schwach. Er hielt sich am Geländer fest und stieg wie ein alter Mann vorsichtig die Treppe hinab.
    Atwood. Niemand lehnte eine Einladung von Atwood ab, Professor für Alte Geschichte, Dekan des Colleges, noch bevor Jericho überhaupt geboren war, ein Mann mit einem Netz von Verbindungen zu Whitehall. Es kam einer Vorladung durch Gott gleich.
    »Sprechen Sie irgendwelche Fremdsprachen?« war Atwoods erste Frage gewesen, als er den Sherry einschenkte. Er war ein Mann in den Fünfzigern, Junggeselle, mit dem College verheiratet. In dem Regal hinter ihm standen unübersehbar seine Bücher. Die Kriegskunst der Griechen und Mazedonier. Caesar als Schriftsteller. Thukydides und seine Geschichte.
    »Nur Deutsch.« Jericho hatte es als Schüler gelernt, um die großen Mathematiker des neunzehnten Jahrhunderts, Gauß, Kummer, Hubert, lesen zu können.
    Atwood hatte genickt und ihm einen winzigen Schluck sehr trockenen Sherrys in einem Kristallglas gereicht. Er folgte Jerichos Blick auf seine Bücher. »Kennen Sie zufällig Herodot? Und die Geschichte von Histiaios?«
    Es war eine rhetorische Frage; die meisten von Atwoods Fragen waren rhetorisch.
    »Histiaios wollte vom persischen Hof aus seinem Schwiegersohn, dem Tyrannen Aristagoras in Milet, eine Nachricht zukommen lassen und ihn auffordern, einen Aufstand anzuzetteln. Aber er fürchtete, daß eine solche Botschaft abgefangen werden könnte. Seine Lösung bestand darin, daß er seinem treuesten Sklaven den Kopf scheren ließ, ihm die Botschaft auf den nackten Schädel tätowierte, wartete, bis das Haar nachgewachsen war, und ihn dann zu Aristagoras schickte mit der Anweisung, ihm die Haare zu schneiden. Unzuverlässig, aber in diesem Fall von Erfolg gekrönt. Auf Ihr Wohl.«
    Jericho erfuhr später, daß Atwood diese Geschichte all seinen neuen Studenten erzählte. Auf Herodot und seinen kahlen Sklaven folgte Polybios mit seinem Zahlenquadrat, dann kam Caesars Brief an Cicero mit einem Alphabet, bei dem a als d chiffriert wurde, b als e, c als f und so weiter. Schließlich war die Lektion in Etymologie dran, die immer noch das Thema umkreiste, aber ihm schon näherkam.
    »Das lateinische crypta, abgeleitet vom griechischen kryptein, was ›verbergen‹ heißt, bedeutet Gruft oder Grotte, und das Wort crypto steht für geheim. Kryptokommunist, Kryptofaschist. Sie sind doch hoffentlich keines von beidem?«
    »Nein, ich bin weder eine Gruft noch eine Grotte.« »Kryptogramm…« Atwood hatte seinen Sherry ins Licht gehoben und in die blasse Flüssigkeit geblinzelt. Kryptoanalyse… Turing hat gesagt, er glaubte, Sie könnten ziemlich gut sein…«
    Als Jericho wieder in seinem Zimmer angekommen war, hatte er Fieber. Er schloß die Tür ab und ließ sich mit dem Gesicht nach unten auf sein ungemachtes Bett fallen, immer noch in Mantel und Schal. Wenig später hörte er Schritte, und jemand klopfte an.
    »Frühstück, Sir.«
    »Stellen Sie es draußen ab. Danke.«
    »Fehlt Ihnen etwas, Sir?«
    »Nein, mir geht´s gut.«
    Er hörte das Klappern des Tabletts, als es abgesetzt wurde, und dann sich entfernende Schritte. Das Zimmer schien zu schlingern und anzuschwellen, eine Ecke der Decke war plötzlich riesig und zum Greifen nahe. Er schloß die Augen, und in der Dunkelheit überfielen ihn die Bilder…
    Turing mit seiner schüchternen Andeutung eines Lächelns: »Ich versichere Ihnen, Tom, ich bin mit Riemann keinen Schritt weitergekommen…«
    Logie, der ihm in der Bombenbaracke die Hand schüttelt und schreit, um den Maschinenlärm zu übertönen: »Der Premierminister hat eben angerufen und uns gratuliert…«
    Claire, die seine Wange berührt und flüstert: »Du Ärmster, ich bin dir wirklich unter die Haut gegangen, nicht wahr? Du Ärmster…«
    »Tretet zurück« - die Stimme eines Mannes. Logies Stimme: »Tretet zurück, damit er Luft bekommt…«
    Und dann nichts mehr.
    Als er aufwachte, sah er als erstes auf die Uhr. Er war ungefähr eine Stunde bewußtlos gewesen. Er setzte sich auf und betastete seine Manteltaschen - irgendwo hatte er ein Notizbuch, in dem er Dauer und Symptome jedes Anfalls festhielt. Es war eine beängstigend lange Liste. Statt dessen fand er die drei Briefe.
    Er legte sie aufs Bett und betrachtete sie eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher