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Engelsstimme

Engelsstimme

Titel: Engelsstimme
Autoren: Arnaldur Indridason
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argen Schwierigkeiten gewesen wegen ihrer Schulden bei den Dealern, bis sie plötzlich vor zwei Tagen die ganzen Schulden mit einem Mal bezahlt hat. Für sich und für ihren Bruder. Kommt dir das bekannt vor?«
    Ösp schüttelte den Kopf.
    »Du weißt also gar nichts darüber?«, fragte Erlendur noch einmal. »Der Mann, der da im Rauschgiftdezernat angerufen hat, kannte den Namen des Mädchens und wusste, dass sie in dem Hotel arbeitete, wo der Weihnachtsmann ermordet worden ist.«
    Noch einmal schüttelte Ösp den Kopf.
    »Wir wissen, dass da unten in Guðlaugurs Kammer mindestens eine halbe Million gewesen ist«, sagte Erlendur.
    Sie hörte auf, den Spiegel zu putzen, die Hände sanken langsam herab, und sie starrte sich selbst im Spiegel an.
    »Ich habe versucht aufzuhören.«
    »Mit Dope?«
    »Es hat keinen Zweck. Und die kennen keine Gnade, falls man ihnen etwas schuldet.«
    »Willst du mir sagen, wer das ist?«
    »Ich wollte ihn nicht umbringen. Er war immer nett zu mir. Aber dann …«
    »Hast du das Geld gesehen?«
    »Ich brauchte Geld.«
    »War das wegen des Geldes? Bist du wegen des Geldes über ihn hergefallen?«
    Sie antwortete ihm nicht.
    »Hast du nichts von diesem Verhältnis zwischen Guðlaugur und deinem Bruder gewusst?«
    Ösp schwieg.
    »War es das Geld? Oder war es wegen deines Bruders?«
    »Vielleicht wegen beidem«, sagte Ösp leise.
    »Du wolltest das Geld.«
    »Ja.«
    »Und er hat deinen Bruder missbraucht.«
    »Ja.«

    Sie sah ihren Bruder vor ihm knien, sie sah den Haufen Geld auf dem Bett, und aus den Augenwinkeln sah sie das Messer. Ohne einen Augenblick zu zögern, ergriff sie das Messer und stach auf ihn ein. Er versuchte, sie mit den Händen abzuwehren, aber sie achtete nicht darauf, sondern stach immer und immer wieder zu, bis er aufhörte, sich zu wehren und gegen die Wand zurücksank. Blut spritzte aus der Herzwunde.
    Das Messer war blutig, und sie hatte Blut an den Händen. Es war auch etwas auf ihren Kittel gespritzt. Ihr Bruder war aufgesprungen und in Richtung Treppe gelaufen.
    Guðlaugur stöhnte schwer.
    Tödliches Schweigen herrschte in der Kammer. Sie starrte Guðlaugur an und das Messer in ihren Händen. Plötzlich tauchte Reynir auf.
    »Da kommt jemand die Treppe runter«, zischte er.
    Er nahm das Geld, packte seine Schwester, die immer noch starr vor dem Bett stand, und zerrte sie mit sich auf den Gang, in die dunkle Nische am Ende des Korridors. Sie wagten kaum zu atmen, als sich die Frau näherte. Sie schaute in die Dunkelheit hinein, konnte sie aber nicht sehen.
    Als sie in der Tür erschien, stieß sie einen Schrei aus, und dann hörten sie Guðlaugur.
    »Steffí?«, ächzte er.
    Dann hörten sie nichts mehr.
    Die Frau ging in das Zimmer hinein, und sie sahen, wie sie sofort wieder herausgetaumelt kam. Sie stolperte rückwärts, bis sie an die Wand des Flurs stieß, drehte sich um und hastete den Gang hinunter, ohne sich ein einziges Mal umzublicken.

    »Den Kittel habe ich weggeworfen und mir einen anderen geholt. Reynir hat sich aus dem Staub gemacht. Ich konnte nichts anderes machen, als weiterzuarbeiten. Sonst hättet ihr sofort alles aufgedeckt, der Meinung war ich jedenfalls. Dann wurde ich nach unten geschickt, um ihn zur Weihnachtsfeier zu holen. Ich konnte das nicht ablehnen. Ich durfte nichts tun, was irgendeinen Verdacht auf mich gelenkt hätte. Ich ging nach unten und wartete auf dem Korridor. Die Tür zu seinem Zimmer stand noch immer offen, aber ich bin nicht hineingegangen. Ich ging wieder nach oben und sagte, ich hätte ihn in der Kammer gefunden, und dass ich ihn für tot hielt.«
    Ösp schaute auf den Boden.
    »Das Schlimmste ist, dass er immer nett zu mir gewesen ist. Deswegen bin ich vielleicht so ausgerastet. Weil er einer von den wenigen hier im Haus war, die nett zu mir waren, und dann stellt sich heraus, dass er meinen Bruder als Strichjungen benutzt hat. Nach all dem …«
    »Nach all dem, was sie dir angetan haben?«, fragte Erlendur.
    »Es hat keinen Sinn, diese Schweine zu verklagen. Die können doch die brutalsten, schlimmsten Vergewaltigungen begehen und kriegen dafür dann ein paar Monate oder, wenn es hochkommt, anderthalb Jahre. Und danach sind sie wieder auf freiem Fuß. Ihr könnt da gar nichts machen. Da gibt es keine Stelle, an die man sich wenden kann, wenn man Hilfe braucht. Man muss ganz einfach bezahlen. Egal, wie man das anstellt. Ich hab das Geld genommen, und ich hab bezahlt. Vielleicht habe ich ihn wegen dem Geld umgebracht,
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