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Engelsschmerz

Engelsschmerz

Titel: Engelsschmerz
Autoren: Mathilda Grace
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immer rein.'
     
    Ich habe 38 Tage gebraucht, um das geheimnisvolle Buch zu finden. Das weiß ich nur deshalb so genau, weil ich mitgezählt habe. Und weil ich Aiden seither nicht wiedergesehen habe. Ebenso wenig ist mir Gabriel über den Weg gelaufen, und ich bin mir nicht sicher, ob das gut oder schlecht ist.
    Seit Aiden mich auf der Mauer zurückgelassen hat, habe ich irgendwie das sonderbare Gefühl, der Himmel hätte den Atem angehalten und würde auf etwas warten. Nur worauf? Und was soll diese letzte Zeile bedeuten? Ich bin nicht rein und kann es tot auch schlecht werden. Zumindest wenn es in dieser Zeile darum geht, dass man körperlich rein ist. Wie es die Kirche so gern propagiert. Jungfräulich in die Ehe gehen und solch ein Kram. Ich war nie in der Kirche und auch nicht gläubig, vielleicht interpretiere ich in diesen Spruch ja etwas hinein, das damit gar nicht gemeint ist.
    Es ist jedenfalls der richtige, die Überschrift beweist es. Scheinbar muss ich mir nur wünschen, wieder auf die Erde zurückzukehren und dann springen. Aber was ist der Preis, von dem mich alle gewarnt haben? Der steht nicht im Buch, ich habe jedenfalls nichts gefunden. Nur unzählige weitere Sprüche, die ich nicht verstehe und die mich auch nicht groß interessieren.
    Sebastian hält mich für verrückt, dass ich es wirklich tun will, und ich habe mich heute Morgen das erste Mal gefragt, ob er vielleicht recht hat. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass kein Engel mitbekommen hat, dass ich mir das Buch unter den Nagel gerissen habe.
    Wieso hält mich niemand auf?
    Wenn dieses Buch verboten und gefährlich ist, warum liegt es dann immer noch vor mir auf dem Bett? Weshalb hat Aiden mir nicht längst die Hölle heißgemacht? Oder Kieran? Ich verstehe es einfach nicht und das lässt mich zögern. Zum ersten Mal, seit ich diesen Plan ins Auge gefasst habe, bin ich unsicher und das ärgert mich mehr, als ich zugeben will. Ich habe, was ich wollte. Ich muss nur noch zur Mauer, mir ein zweites Leben wünschen und springen. So schwer ist das nicht. Warum sitze ich dann seit Sonnenuntergang auf dem Bett und starre das Buch misstrauisch an?
    Werde ich jetzt etwa feige? So kurz vor dem Ziel? Ich sehe auf den Ring an meiner Hand. Matthew wartet auf mich, ich muss nur zu ihm gehen, mehr nicht. Er hat kein neues Leben angefangen, das weiß ich. Ich habe ihn im Auge behalten. Ich weiß, dass er unglücklich ist und leidet. Immer wieder fährt er zu meinem Grab und bleibt Stunde um Stunde auf dem Friedhof, bis entweder sein Bruder oder einer seiner Freunde ihn holen. Meistens ist es Neil und ich bin ihm dankbar dafür. Matthews älterer Bruder und ich, wir sind nie miteinander ausgekommen. Nicht weil Matthew schwul ist, sondern weil wir einfach zu verschieden waren. Aber jetzt ist er für Matthew da. Neil ist da, während ich vor diesem verdammten Buch sitze und mich nicht traue, es einzusetzen.
    Schluss damit! Ich werde jetzt gehen. Zurück nach Hause. In mein altes Leben. Darauf habe ich schließlich lange genug gewartet.
     
    „Fuck!“
    Ich zucke von der Lautstärke meiner eigenen Stimme zusammen, die außer mir kein Mensch hört. Dabei sind unzählige Personen um mich herum, streben eilig an mir vorbei, telefonieren direkt neben mir oder suchen leise fluchend nach der nächsten Zigarette.
    Wo ich gerade bin? Ich stehe an einer Bushaltestelle und es ist frühmorgens. Der Himmel ist noch nicht blau, aber es ist bereits hell genug, um meine Spiegelung in der mannshohen Scheibe des Haltestellenunterstands anzustarren. Beziehungsweise das, was mein Spiegelbild sein sollte, denn ich bin durchsichtig. Ein Geist. Keine Ahnung, ob diese Bezeichnung korrekt ist, aber für mich sieht es so aus. Und da niemand meine Anwesenheit wahrnimmt, muss ich ein Geist sein.
    Vor ein paar Minuten ist ein Mann mit seinem Handy am Ohr einfach durch mich hindurch gelaufen, als ich ihm nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte. Dadurch habe ich erst bemerkt, dass etwas mit mir nicht stimmt. Ich bin entsetzt, fassungslos, schockiert, alles auf einmal und noch viel mehr.
    Ist das etwa der Preis? Ein zweites Leben, nicht als normaler Mensch, sondern als Geist? Soll das ein Witz sein?
    Das stand nicht in dem Buch, da bin ich mir sicher. So etwas hätte ich doch niemals übersehen. Was mache ich jetzt bloß? Wenn ich in dem Zustand bei Matthew auftauche, bekommt er einen Herzinfarkt. Falls er mich überhaupt sehen kann. Oh Gott, was, wenn nicht? Die Menschen hier um
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