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Engelsschmerz

Engelsschmerz

Titel: Engelsschmerz
Autoren: Mathilda Grace
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mich herum sehen mich schließlich auch nicht. Bin ich möglicherweise dazu verdammt, als durchsichtiger, mit Ketten rasselnder Geist in einem alten Schloss zu enden?
    „Das kann doch nicht wahr sein“, murmle ich und reibe mir mit beiden Händen übers Gesicht. Komisch, mich selbst berühren funktioniert. Andere Dinge kann ich nämlich nicht anfassen, das habe ich schon versucht.
    Selbst schuld.
    Der Gedanke ist so schnell da, dass ich ihn nicht mehr verscheuchen kann. Und er ist leider wahr. Ich allein bin schuld an meinem Zustand. Mein Wunsch hat mich zu einem Geist auf Erden gemacht und bei meinem Glück sitze ich hier nun bis auf alle Ewigkeit fest.
    „Oh Gott.“
    Allein die Vorstellung ist ein weiterer Schock. Einer von vielen, seit ich vor dieser Scheibe stehe und hinein starre. So war das nicht geplant. Ganz und gar nicht.
    Ich hätte besser auf Aiden hören sollen. Aber dann wäre Matthew für immer für mich verloren gewesen. Ich muss zu ihm. Ich will ihn wenigstens sehen. Selbst wenn er mich als Geist nicht wahrnimmt, kann ich für ihn da sein. Vielleicht kann ich ihm irgendwie helfen. Es gibt doch Filme, in denen Geister mit der Zeit lernen, sich bemerkbar zu machen. Das könnte ich versuchen. Wenn ich eh schon für alle Zeit hier festsitze, kann ich auch das Beste daraus machen.
    Ein Bus hält und ich nutze die Chance einzusteigen. Das geht. Es ist faszinierend. Wenigstens muss ich nicht zu Fuß zu Matthew laufen, das hätte eine Weile gedauert, da ich, warum auch immer, am anderen Ende der Stadt auf den Erdboden geklatscht bin und nicht vor unserem Haus, wie ich es wollte. Aber vielleicht war der Wunsch dafür nicht zuständig, keine Ahnung.
    Ich werde einfach das Beste aus dieser irren Situation machen, ab und zu einen Nervenzusammenbruch haben, und die kommenden Jahre, Jahrhunderte oder vielleicht sogar Jahrtausende irgendwie überstehen.
    Ich bin ein Geist.
    Ach du Schande.
     
    Matthew sitzt im Wohnzimmer auf der Couch und starrt den Fernseher an, der ausgeschaltet ist. Er sieht furchtbar aus. Schlimmer als letzte Woche, wo ich zuletzt nach ihm gesehen habe. Ich kann zwar nicht riechen, ob er so stinkt, wie er aussieht, aber er braucht dringend eine Dusche. Oder ein Bad. Darin könnte ich Matthew unterstuken, wenn ich noch etwas berühren könnte. Das nervt mich an meinem merkwürdigen Geisterdasein jetzt schon. Wenigstens kann ich durch Türen gehen. Na ja, man nimmt, was man kriegt. So ähnlich heißt doch der Spruch, oder?
    Ja, ich rede mir diese Sache gerade schön, ich weiß. Aber es reicht, dass Matthew mit den Nerven am Ende ist, ich muss es ihm nicht nachmachen. Jedenfalls nicht sofort, ich denke, das kommt noch früh genug.
    „Du musst etwas essen, Matti.“
    „Hab' keinen Hunger.“
    „Du wirst zu dünn.“
    „Ist mir egal.“
    „Aber du hast ...“ Ich breche verdutzt ab. Hat er mir geantwortet, oder habe ich mir das eingebildet? „Matti?“
    „Hau' endlich ab. Du bist tot. Hör' auf, mit mir zu reden. Neil denkt eh schon, ich bin verrückt.“
    Oh mein Gott, Matthew kann mich tatsächlich hören. Ich atme tief durch und verkneife mir den Jubelschrei, der in meiner Kehle aufsteigt. Ich will Matthew nicht erschrecken, aber ich bin gerade überglücklich. Er hört meine Stimme. Ob er mich sehen kann? Ich mache die Probe aufs Exempel und stelle mich zwischen Couchtisch und Couch vor ihn. Keine Reaktion. Meine Enttäuschung ist nicht so groß, wie ich befürchtet habe. Matthew kann mich hören, das ist besser als nichts.
    „Du bist nicht verrückt, Matt.“
    Matthew schnaubt und erhebt sich, um durch mich hindurch in die Küche zu gehen. Ich folge ihm und sehe schweigend zu, wie er sich Kaffee kocht, mit dem er dann wieder ins Wohnzimmer geht. Er beginnt dasselbe Spiel wie zuvor, nur schaltet er diesmal den Fernseher ein, auf Sport. Er liebt Sportsendungen. Ich habe nie verstanden warum, ihm aber seinen Willen gelassen. Matthew hat schließlich auch meine Sucht nach Büchern akzeptiert und im Schlafzimmer ein Regal für mich aufgestellt. Er hat mich geliebt, so wie ich bin. Trotz all meiner Macken und Fehler.
    „Du fehlst mir so sehr“, flüstere ich traurig und richte den Blick auf den Fernseher. „Das ist einfach nicht fair.“
    „Nicht fair? Du redest von Fairness? Wer ist denn gestorben? Wer von uns hat sich überfahren lassen? Ich oder du? Hast du überhaupt eine Ahnung, wie schlimm das ist? Jeden Morgen aufzuwachen, den Küchentisch automatisch für zwei zu decken und
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