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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut
Autoren: Julia Kroehn
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zurück in ihr Zimmer und tauchte seine Hände in ihr getrocknetes Blut, um den Tod festzuhalten.
    Keiner wollte seine Malerei sehen. Erst Tage später, da die Tote steif und stinkend lag und Wände, Boden und Decke mit ihrem Elend beschmiert waren, wurden sie und Samuel entdeckt.
    Felicitas’ Tränen waren längst auf den gebleichten Wangen getrocknet. Das Blut zwischen den Beinen hatte sich mit den Exkrementen vermengt und war schwarz geworden. Samuel malte nicht mehr, sondern lag auf dem Leichnam und klammerte sich daran fest.
    Sein Anblick verstörte mehr als die Tote. Heulend lief man vor dem Bett zusammen und versuchte, Samuel von der steifen Toten zu lösen.
    Seine Hände krallten sich fest. »Sie trägt ein Engelchen in ihrem Bauch!«, gellte er. »Man darf dem Engelchen nichts zuleide tun!«
    Der Graf kam eilig und voller Entsetzen, während sich die Mägde flüsternd fragten, warum sie nicht zu einer Abtreiberin gegangen war.
    »Ich hätte ihr eine nennen können, die die Sache gut macht«, murmelte eine.
    Der herbeigerufene Pfarrer befand verlegen, dass man die Tote, die Unselige, unmöglich in geweihter Erde würde begraben können. Es sei nicht rechtens, die üblichen Gebete über sie zu sprechen, unweigerlich müsse sie zum Teufel wandern, sie habe Schreckliches getan, sich am Leben vergriffen. Sein Urteil war weder kalt noch bösartig. Er selbst hätte ihr vielleicht vergeben können – aber der Herr im Himmel, so war er sich sicher, konnte es nicht.
    Bestürzt hörte der Graf ihn an, ohne sich dagegen aufzulehnen, fühlte jenes unbeteiligte Mitleid mit Felicitas, das er schon seit einigen Monaten kannte, dachte an die Zeit zurück, die er mit ihr verbracht hatte. Warum hatte sie ihm nichts von dem Kinde gesagt, warum war sie immer so kalt gewesen, so verschlossen, so stumm! Alles hätte er versucht für diese Frau, doch was hatte er ausrichten können, wo sie sich von ihm abwandte? Wie hätte er sie lieben können, so nüchtern, so steif, so unbeteiligt, wie sie sich zeigte? Selbst Marie, der lautlose Schatten, schien jünger, hübscher, vitaler als Felicitas; eigentlich war es viel schwerer gewesen, mit Felicitas auszukommen, als mit Marie; eigentlich hätte er längst eine glückliche Ehe mit Marie führen können, wenn nur Felicitas nicht gewesen wäre.
    Angelockt von dem Tumult kam denn auch seine rechtmäßige Frau, ekelte sich vor dem schrecklichen Anblick und dachte bestürzt, dass Felicitas nicht nur an ihrem eigenen Kind verblutet war, sondern auch an ihrem kraftlosen Warten, ihrem Festhalten an einer Liebe, die nichts anderes war als Einfallslosigkeit. Für einen kurzen Moment fühlte sie sich Felicitas nah, in ihre verwelkte Haut versetzt.
    Doch als sich Mitleid in ihr regte, besann sie sich hastig, dachte an die schmähliche Geburt im Kuhmist und dass Felicitas schuld am einsamen Leben war – an ihrem eigenen und an Maries. »Jetzt ist es gut«, sagte sie laut mit Blick auf die Tote. »Jetzt ist es gut.«
    Samuel nahm seine Mutter zum ersten Mal wahr. Sie ging zu ihm, versuchte ihn an der schlaffen Hand zu nehmen und mit sich zu ziehen. Wiewohl an seinem Körper das Blut der Verstorbenen klebte, war er jetzt ihr Sohn und nicht mehr der von Felicitas.
    Er aber entzog ihr hastig die Hand, trat wie stets rasend und würgend vor Zorn um sich und traf den Grafen am Schienbein, gerade als jener tröstend seine Arme um die neu entdeckte Frau legen wollte.
    »Fass mich nicht an!«, kreischte Samuel. »Du bist nicht meine Mutter!«
    Nach Felicitas’ Tod führte für Marie kein Weg an Samuel vorbei. Bis dahin hatte sie die böse Nebenbuhlerin verklagen können, die ihr das Kind abspenstig gemacht und sie solcherart der Pflicht beraubt hatte, sich um dieses zu kümmern. Jetzt war sie gezwungen, sich vom offenkundig vorhandenen Sohn Wiedergutmachung für die Mutterschaft zu erwarten, die nur so lange als beschämend galt, als sich eine lebende Felicitas der schmählichen Geburt im Kuhstall besann.
    Buhlend suchte Marie einen munteren, lebendigen Knaben, der den Menschen gefallen, sie betören und ein Familienglück beglaubigen sollte, das den Verrat des Domherrn übertünchte. Stattdessen traf sie auf ein verlorenes Kind, das nicht tröstete und das nicht erklärte, wie wundersam das Leben sei und wie aus einer Geburt im Kuhmist doch etwas Liebliches, Zutrauliches, Einnehmendes hervorgehen könne.
    Immer wieder versuchte sie, ihn zu berühren, zu umarmen, zu streicheln – hoffend, es möge nur
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