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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut
Autoren: Michael Kibler
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hatte.
    Auch Margot kommentierte: »Derart zerstörte Körper sind mit das Schlimmste. Die kommen gleich nach denen, die zwei Wochen im warmen Wohnzimmer gelegen haben …«
    Margot kannte den Bahnübergang im Wald am Kirchweg. Jeden Montag und Donnerstag, so es die Bösewichte der Stadt zuließen, joggte sie mit den Mitstreitern des Lauftreffs durch den Traisaer Wald. Den Lauftreff gab es seit fünfundreißig Jahren. Und was Margot sehr schätzte: Sie trieb Sport mit netten Leuten, ohne dass sie einem Verein beitreten musste. Wie oft war sie wohl in den vergangenen Monaten über diesen Bahnübergang gejoggt?, überlegte sie. Wie oft hatte sie vor dem roten Blinklicht gestanden, wenn sie und ihre Gruppe genau den Weg des Zuges um 18.17 Uhr oder um 18.52 Uhr gekreuzt hatten? Manchmal eine willkommene Unterbrechung, mal eine verfluchte, weil sie den Schnitt verschlechterte. Seit sie sich diesen Minicomputer am Arm gegönnt hatte, war die Zeit des unbeschwerten Waldlaufs passé, wie sie ausgerechnet in diesem unpassenden Moment ernüchtert feststellte.
    »Herr Muttl, das sind Margot Hesgart und Steffen Horndeich. Kripo Darmstadt.«
    »Hallo«, sagte Muttl nur. Er saß in einem der Mannschaftswagen der Polizei, einen Laptop vor sich auf einem Klapptisch. Er wirkte ein wenig wie ein Bär im Lord-Outfit: Karohemd, helles Cordsakko unter dem Mantel. Und einen gepflegten Schnauzer im rundlichen Gesicht.
    Margot kannte den Mann. Sechs Jahre zuvor war er schon mit von der Partie gewesen, als sich ein jugendlicher Lebensmüder von einer Brücke auf die Eisenbahngleise gestürzt hatte. Damals war auch schon das große Programm mit zig Einsatzkräften zum Zuge gekommen, weil der Junge bereits eine Viertelstunde am Nordbahnhof auf der falschen Seite des Geländers gestanden hatte. Muttl war damals schon der Zuständige für »Personenschäden« bei der Bahn gewesen. Der Jugendliche war dann tatsächlich gesprungen. Aber auf das falsche Gleis. So war der Zug, der ihn hätte überrollen sollen, an ihm vorbeigefahren. Zwei gebrochene Beine und später eine Ausbildung bei der Polizei. Gott bewies manchmal schrägen Humor, um seine Schäfchen auf den rechten Weg zu führen. Doch nun verrieten Muttls Stimme und sein Gesichtsausdruck, dass Gott diesmal nicht nach Scherzen gewesen war.
    »Können Sie uns kurz die Fakten geben?«, fragte Margot. Horndeich stand wie ein Schatten seiner selbst neben ihr. Ihm schien das Ganze noch viel näher zu gehen als ihr.
    »Einen Moment«, sagte Muttl und tippte noch etwas in den Laptop. Dann wandte er sich Margot und Horndeich zu.
    »Viel wissen wir noch nicht. Eine junge Frau. Hat sich genau am Bahnübergang auf die Schienen gesetzt. Mehr können wir nicht sagen, denn ihr Zustand ist …« Er beendete den Satz nicht.
    »Fremdverschulden möglich? Hat sie jemand vor den Zug gestoßen?«
    Muttl zuckte nur mit den Schultern. »Das rauszufinden, ist Ihr Job. Aber ich kann es mir kaum vorstellen. Erstens hat der Lokführer gesagt, sie habe einfach dort gesessen. Zweitens sähe der Körper, wenn sie jemand vor den Zug gestoßen hätte, anders aus. Dann wäre er nicht so zerfetzt worden. Eher zur Seite geschleudert. Hätte auch nicht schön ausgesehen – aber das hier …«
    Er sprach nicht weiter.
    »Ja, das hier?«
    »Ganz einfach. Die dümmste Art, sich überfahren zu lassen, ist, sich längs zwischen die Gleise zu legen. Da passiert Ihnen wenig, wenn Sie nicht die Statur eines Sumoringers haben. Aber es gibt Positionen, bei denen …«, wieder stockte er. »Sie wusste genau, wie sie sich platzieren musste, damit es sie richtig erwischt.«
    »Konnten Sie schon feststellen, wer sie ist?«
    »Nein. Die Identifikation wird schwierig werden. Rötliches, langes Haar. Kein Übergewicht. Aber schon bei der Körpergröße muss der Arzt puzzeln.«
    Margot seufzte innerlich. Auf einmal fühlte sie sich unglaublich müde. Sie war gerade auf dem Weg ins Bett gewesen, als sie um kurz nach 23 Uhr der Anruf erreicht hatte. Und natürlich fragte sie sich, welch schlimmes Schicksal einen Menschen dazu bringen konnte, sich vor einen Zug zu werfen. Oder, wie Muttl es gerade beschrieben hatte, sich auf die Gleise zu setzen und zuzusehen, wie der Zug auf einen zubrauste. Gruselige Vorstellung.
    »Können wir mit dem Lokführer sprechen?«, fragte Margot. Sie warf ihrem Kollegen einen Seitenblick zu. »Alles okay, Horndeich?«, flüsterte sie.
    Der nickte nur. Sagte aber nichts.
    »Der Lokführer sitzt da hinten am
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