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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut
Autoren: Michael Kibler
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kalten Blitzlicht der Kameras erhellten Fotos wirkten die Überreste gleichzeitig viel schärfer und gleichzeitig irrealer.
    Horndeich kam ins Büro.
    »Na, wieder fit?«
    »Hmmm«, grummelte der Kollege und ging zur Kaffeemaschine. Der erste Gang jeden Morgen.
    »Was war los gestern?«
    Die Maschine brummte, dann floss der Kaffee in die Tasse.
    »Machst du mir auch noch einen?«
    »Hmm.« Offenbar hatte auch Horndeichs Wortschatz gelitten.
    Er setzte sich auf seinen Platz. »Sorry, das gestern war – es war einfach ein wenig viel.«
    »Wieso? Willst du es mir erklären?«
    Horndeich zögerte. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein. Im Moment nicht. Vielleicht ein andermal.«
    »Gut.« Margot tat einen halben Löffel Zucker in den Kaffee. Gegen die Bitterkeit, wie sie immer zu sagen pflegte. Dann legte sie noch einen Löffel nach. Was ihrem Kollegen nicht entging.
    »Kommst du am Dienstag auch zum Flughafen?«, fragte der.
    »Zum Flughafen? Haben wir da eine Übung? Oder sollen wir Al Capones Urenkel festnehmen?«
    Horndeich schaute seine Chefin verständnislos an. »Nein, ich meine, wenn Doro und ihr Freund abfliegen.«
    »Doro? Freund? Abfliegen? Mit wem will sie wie lange wohin fliegen?«
    »Äh – ich dachte, du weißt das. Sie fliegt mit ihrem Freund für zwei Wochen nach London. Hat Urlaub genommen. Ich nehme an, sie wollen sich mal die lustigen roten Doppelstockbusse anschauen.«
    »Und wieso weißt du davon?«
    »Na, weil sie gestern Abend Sandra gefragt hat, ob die sie zum Flughafen fährt. Hat wohl gedacht, dass das sicherer ist. Bei unserem Job weiß man ja nie, ob nicht die ein oder andere Leiche dazwischenkommt.«
    »Schon gut, du musst dich nicht entschuldigen.«
    »Ich will mich doch gar nicht entschuldigen. Wofür denn auch?«
    »Lass gut sein.«
    »Wie ist denn Doros Freund? Ich hab ihn noch gar nicht kennengelernt.«
    »Na, da haben wir ja was gemeinsam«, sagte Margot. Und schüttete noch einen Löffel Zucker nach.
    »Nicht so gut, euer Verhältnis gerade, was?«
    Margot nahm einen Schluck. Viel zu süß, dachte sie. »Doch doch, alles bestens. Wenn ich sie anrufe, dauert es keine fünf Minuten, bis sie mich anschreit und auflegt. Um danach gleich wieder anzurufen und mir mitzuteilen, was ich ihrem Vater bitte ausrichten möge. Offenbar ist der ihr gegenüber genauso gesprächig wie …« Margot hielt inne. »Vergiss es. Meine privaten Angelegenheiten gehören nicht hierher.«
    Horndeich nickte nur und kramte leicht verlegen auf seinem Schreibtisch herum.
    »Wann fliegt sie denn?«, fragte Margot, die ebenfalls angefangen hatte, sinnlos Papiere von rechts nach links und wieder zurück zu räumen.
    »Ich weiß es nicht genau. Früher Nachmittag. Ich sag dir noch Bescheid.«
    »Wäre nett. Dann komm ich vielleicht als Überraschungsgast.«
    Margot stand auf. »Bin gleich wieder da.«
    Sie ging in den Toilettenraum. Stellte sich vor den Spiegel. Betrachtete ihr Spiegelbild.
    »Erzähl du mir doch mal, was ich falsch mache!«, blaffte sie sich selbst an.
    Das Spiegelbild blaffte synchron zurück und schwieg dann – wie sie. Dorothee war zweieinhalb Jahre zuvor in ihr Leben getreten. Ihr Sohn Ben war damals gerade ausgezogen, und sie hatte sich darauf gefreut, mit ihrem Mann Rainer endlich ein wenig entspannte Zweisamkeit genießen zu können. Doch der Göttergatte hatte Doro aus Berlin mitgebracht. Seine uneheliche Tochter, die er selbst erst ein paar Monate vorher persönlich kennengelernt hatte. Doros Mutter hatte sich beim Gardinenaufhängen das Genick gebrochen. War von der Leiter gefallen. Klang blöd, war blöd, aber bei allem Klischee leider ein Fakt. Das hieß für Doro und ihren Hund Che: zu Papa und seiner Frau. Oder ins Heim.
    Margot hatte ihrem Einzug zugestimmt. Und zunächst sah es so aus, als ob sie einen guten Draht zu dem Mädchen gefunden hätte. Doro hatte eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester begonnen und war wenig später ins Schwesternwohnheim gezogen. Doch nachdem Rainer vor über einem halben Jahr entschieden hatte, vorerst in den USA zu arbeiten, hatte sich ihr Verhältnis immer weiter verschlechtert. Inzwischen wusste Margot nicht mehr, wie sie noch an Doro herankommen sollte. Sie hatte den Eindruck, egal, was sie sagte oder tat – für die junge Dame trug sie den Stempel »verkalkte Spießerin« auf der Stirn. Als sie Doro das letzte Mal zum Essen eingeladen hatte, war diese nach zehn Minuten aufgestanden und hatte das Restaurant verlassen, weil Margot erst nach dem
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