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Engel sterben

Engel sterben

Titel: Engel sterben
Autoren: Eva Ehley
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innen und legt die Hände wieder über die Ohren.
    Nichts hören, nichts sehen, nicht sprechen müssen.
    Der Mann startet den Wagen.

Dienstag, 28. Juli, 13.52 Uhr,
Braderuper Straße, Kampen
    Die Bilder sind bunt. Eine Studiokulisse, die eine Wüstenlandschaft darstellen soll. Ein Brunnen aus Sperrholz. Palmen, deren Stämme aus Styroporbrocken und deren Blätter aus giftgrünem Plastik bestehen. Und ein lebensgroßes Plüschkamel mit beweglichem Unterkiefer, das einen endlosen Monolog zu halten scheint.
    Anja wendet sich schnell von dem Fernsehschirm ab. Mette sitzt seit zwei Stunden vor dem Apparat, obwohl draußen bestes Wetter ist. Am Nachmittag wird Anja mit der Tochter zum Strand gehen, das hat sie ihr fest versprochen. Aber noch muss sie sich um den Haushalt kümmern. Und Mette darf seit Tagen nicht mehr allein nach draußen. Dafür haben die Eltern das strikte Fernsehverbot gelockert. Jetzt zappt sich Mette durch die Sender und taucht tief in die Banalitäten der medialen Welt ein. Anja mag gar nicht mehr hinschauen, und doch zwingt es sie immer wieder an die Wohnzimmertür, um zu prüfen, ob das Kind wirklich anwesend ist, ob nicht gegen alle Wahrscheinlichkeit die plappernden Stimmen aus dem Fernseher eine Entführung überdeckt haben könnten.
    Natürlich ist Mette da. Gebannt verfolgt sie die Litanei des sprechenden Kamels, das umständlich eine lange Wüstenreise inklusive Sandsturm und Wassermangel schildert. Mit offenen Mündern lauschen eine als Springmaus verkleidete Schauspielerin und ein Kameltreiber mit Turban der Geschichte. Sie sitzen vor dem Brunnen auf der Erde und stoßen in schöner Regelmäßigkeit erstaunte Rufe aus. Als auch noch ein nachlässig als Igel kostümierter Moderator die Szene betritt und beginnt, dümmliche Fragen zu stellen, wendet Anja sich ab und geht in die Küche.
    Die Bügelwäsche macht sich schließlich nicht von allein, und die Liste für den nächsten Großeinkauf ist auch noch nicht fertig. Während Anja die Temperatur des Bügeleisens prüft, horcht sie immer wieder auf die Geräusche aus dem Wohnzimmer. Die eintönige Stimme des Kamels, das Kichern der Springmaus und ab und an ein kleines Lachen von Mette, das ihr zeigt, dass alles in Ordnung ist.
    Trotzdem kann Anja die Nervosität nicht abschütteln. Jedes draußen vorbeifahrende Auto treibt ihren Puls nach oben. Jeder auch nur in der Nähe parkende Wagen wird von ihr misstrauisch gemustert. Die Furcht um Mette hat in den letzten Tagen ein Ausmaß erreicht, das an Panik grenzt und das Anja sogar vor Sven verheimlicht.
    Mit zitternden Fingern breitet Anja die erste Bluse auf dem Bügelbrett aus. Im Nebenraum setzt der Igel zu einer längeren Belehrung an. Seine Stimme klingt auf sehr prägnante Weise hoch und näselnd. Draußen rauscht ein Auto heran, bremst ab und parkt vor der Baustelle auf dem Nachbargrundstück. Mette lacht lauthals über eine der Bemerkungen des Igels, bricht aber plötzlich mitten im Ton ab. Der Igel redet weiter. Anja hebt das Bügeleisen von der Bluse, um aus dem Fenster zu sehen. Die Straße scheint menschenleer. Wer auch immer aus dem parkenden Fahrzeug gestiegen ist, kann nicht in Richtung des Winterberg’schen Hauses gelaufen sein. Anja bügelt weiter.
    Plötzlich tönt ein entsetzliches Schreien aus dem Wohnzimmer. Mette.
    »Mami, Mami, komm schnell, der böse Mann ist hier.«
    Anja lässt die Bluse auf dem Bügelbrett und das Bügeleisen auf der Bluse liegen und stürzt in den Nebenraum.
    Aber dort ist alles wie vorher. Außer Mette, die nach wie vor gebannt auf den Bildschirm starrt, ist niemand zu sehen. Alle Fenster sind geschlossen, die Tür zum Esszimmer auch. Der Igel im Fernsehen redet immer noch.
    »Hast du mich aber erschreckt, Kind. Bitte lass das bleiben, ja?«
    Schnell läuft Anja zurück in die Küche. Der Abdruck des Bügeleisens hat sich bereits in scharfem Gelb auf dem Blusenrücken eingebrannt. Anja kann einen leisen Fluch nicht unterdrücken.
    Mette ruft aus dem Wohnzimmer ein zweites Mal nach ihrer Mutter.
    »Mami, du hast mich falsch verstanden. Komm doch noch mal. Der böse Mann ist im Fernsehen, nicht im Zimmer.«
    Anja nimmt die verunstaltete Bluse vom Bügelbrett und stopft sie in den Abfalleimer. Die hölzernen Dialoge aus dem Fernseher sind ebenso verstummt wie Mettes Lachen. Anja zieht den Stecker des Bügeleisens aus der Dose und geht langsam zurück ins Wohnzimmer. Die Sendung wird zu Ende sein, denkt sie, und in den Nachrichten zeigen sie jetzt
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