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Engel der Kindheit

Engel der Kindheit

Titel: Engel der Kindheit
Autoren: Skyla Hegelund
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wärmende Wolldecken, eine Taschenlampe, Kekse und eine Flasche Sprudel.
    „Lena, komm, setz dich hierher! Aber bald musst du ins Bett! Sonst machen deine Eltern sich Sorgen!“ Die Taschenlampe, die Nils angeknipst hatte, strahlte hell gegen die raue, ungehobelte Holzwand, deren Maserung von auswachsenden Ästen unterbrochen wurde, die sich darum schlängelte, um nach dem Auswuchs wieder in geraden Linien zu verlaufen. Spitze Holzsplitter schienen nur darauf zu warten, sich in der empfindlichen Haut einer Hand festzuhaken, die unvorsichtig darüber streichen würde.
    „Die meinen, ich bin schon im Bett! Jetzt streiten sie darüber, weil dein Papi so geschimpft hat. Irgendetwas von Jugendamt, oder so. Nils, hat er dir arg wehgetan?“ Ganz vorsichtig streichelte sie seinen Arm, an dem sich ein blauunterlaufener Fleck abzeichnete.
    „Ach, i wo! Alles halb so schlimm!“ Nur seine zitternde Stimme verriet, dass es gelogen war. Lena, die mit ihren feinfühligen Sinnen alles um sich herum wahrnahm, entging dieses Zittern nicht. Vorsichtig schmiegte sie sich an Nils, schlang ihre Arme um seinen dünnen Bauch und streichelte ihn, wie sie es sonst bei den Tieren machte, die ihr Vater verarztete.
    Heiß schoss Nils die Röte in das blasse Jungengesicht, er wusste nicht, wie er mit dieser Zärtlichkeit umgehen sollte.
    Unwillkürlich schossen ihm die Tränen in die Augen, krampfhaft versuchte er sie wegzublinzeln, aber er war einfach machtlos dagegen. Unaufhaltsam kullerten sie aus seinen Augen, tropften auf Lenas Arme, die sich nur umso fester an ihn drückte.
    Verzweifelt warf er die Hände vor das Gesicht, sein schmaler Körper wackelte unter seinem Schluchzen, das er nicht aufhalten konnte.
    Still saß Lena da, streichelte sanft Nils Rücken, sagte kein Wort, war einfach froh, dass er noch lebte, und dass sie bei ihm sein konnte.
    Irgendwann schliefen sie ein. Eingerollt, wie ein kleiner schutzsuchender Igel, lag Nils auf der Seite, Lena kuschelte sich dicht an seinen runden Rücken.
    „Engelchen, aufstehen! Draußen scheint die Sonne, schnell, wenn deine Mama merkt, dass du nicht in deinem Bett liegst, macht sie sich die größten Sorgen!“
    Verschlafen rieb sich Lena, die von allen nur Engelchen genannt wurde, die müden Augen, streckte sich ausgiebig und sprang auf die kleinen Füße.
    „Wie komme ich hier zur Türe? Ich sehe gar nichts!“ Ängstlich klang ihre Stimme. Durch die Ritzen des Holzes strahlte nur ein wenig die aufgehende Sonne hindurch. Obwohl ihre Augen sich an das dämmrige Licht gewöhnt hatten, sah sie die verrammelt Türe, am anderen Ende des Schuppens, nicht.
    „Komm, ich zeig es dir und dann, mach schnell!“ Sicher nahm Nils ihre kleine Hand, führte sie zur Türe, schob die schwere Werkzeugkiste und den alten Gartenstuhl zur Seite und öffnete die knarrende Holztür.
    Die aufgehende Sonne schickte ihre Strahlen direkt zu ihnen, kitzelte ihr kleinen Nasen, vermischt mit der leichten Brise, die von der Elbe her wehte, den Geruch der großen weiten Welt mit sich tragend, die die Schiffe aus allen Herrenländern mit sich brachten.
    „Schnell, lauf!“ Auffordernd ließ er ihre Hand los und sah ihr zu, wie leichtfüßig sie über die hügelige Wiese, deren Gras- und Blütenhalme an ihre Knie reichte, sprang, bis sie das Gatter erreicht hatte, das ihre beiden Grundstücke trennte. Mit einer flinken Handbewegung öffnete sie das krächzende Tor, zwängte sich hindurch, da es sich wegen eines neu aufgeschütteten, schwarzen Maulwurfhügels kaum öffnen ließ und betrat das gepflegte Grundstück, mit dem kurzgemähten Rasen, auf dem einige Obstbäumen standen. Buntblühende Blumenrabatte und würzige Kräuterbeete befanden sich auf der an den verwilderten Garten angrenzenden Seite, während sich die großen Ställe und Käfige der Tiere, die von Doktor Johle operiert und gesundgepflegte wurden, am anderen Ende des Gartens befanden.
    Das Letzte, was er von ihr sah, waren ihre goldblonden Korkenzieherlocken, die bei jedem ihrer Schritte fröhlich hüpften und den letzten Zipfel ihres gerüschten Nachthemdes, bevor sich die Terrassentüre ihres Kinderzimmers hinter ihr schloss.
    Angstvoll schlich Nils durch die morsche Hintertür des alten, baufälligen Hauses, die direkt zur Küche führte.
    Meist war sein Vater morgens wieder nüchtern, so dass er ihm nichts mehr tun würde, aber sicher war er sich niemals.
    Laut knarrten die Dielenbretter unter seinen Schritten, vorsichtig spähte er in die große
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