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Engel der Kindheit

Engel der Kindheit

Titel: Engel der Kindheit
Autoren: Skyla Hegelund
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beinahe fünfzig. Niemand stellte einen Arbeiter mit knapp fünfzig Jahren ein, wenn Jüngere für weniger Geld die gleiche Arbeit verrichteten.
    Mehrmals hatte Georg versucht mit ihm zu reden, aber ohne Erfolg. Warnend hatte Herr Keller ihm angedroht, wenn er sich weiterhin in seine Familienangelegenheiten einmischen würde, würde er es bitter bereuen. Im Grunde seines Herzens war er sicher kein gewalttätiger Mann, aber in Verbindung mit Alkohol, dem er jeden Tag zusprach, entstand eine Mischung, die der Junge zu spüren bekam. Wahrscheinlich hatte Georg Recht und sie hätten bereits viel früher reagieren sollen!
    Nachdenklich räumten Sonja den Frühstückstisch ab, stellte das Geschirr in den Geschirrspüler, wischte mit einem weichen Tuch den Holztisch ab und ging zu ihrem Mann in die Praxis, um ihm zu assistieren. Problemlos hatte sie sich in die Tiermedizin eingearbeitet. Jeden Morgen half sie ihm bei den geplanten Operationen, danach brachte sie das Haus in Ordnung und kochte das Mittagessen.
    Ihre Arbeit machte ihr ausgesprochene Freude, sie sah gerne die ruhige Hand ihres Mannes, der die narkotisierten Tiere operierte. Hinterher verband sie die frischen Wunden.
    „Hi!“ Steinkickend trat Philipp zu Nils, der auf der hohen, roten Backsteinmauer vor dem Schulgebäude saß und ein Comicheft las.
    „Hi!“ Nur kurz sah er zu seinem Freund. Fürchterlich schämte er sich davor, ihm in die Augen zu sehen, da er genau wusste, dass dieser gestern Abend gehört haben musste, wie sein Vater ihn verprügelt hatte. Mit dem Gürtel! Tiefe Striemen auf seinem Rücken erinnerten ihn bei jeder Bewegung daran. Immer schmerzhafter wurden die Schläge oder wurde seine Haut einfach nur empfindlicher? Wenn er seinen Vater betrunken kommen hörte, verkroch er sich im Schrank oder in der alten Truhe, auf der Bühne, unter dem Bett oder im Keller. In jedem Versteck spürte er ihn irgendwann auf. Je länger er zum Suchen brauchte, desto wilder wurde er, wenn er ihn gefunden hatte. Aber er konnte doch nicht einfach in seinem Zimmer darauf warten, dass sein Vater zu ihm kam. Jedes Mal zitterte er vor Angst in seinem Versteck. Meist war er schweißnass, bis sein Vater ihn daraus hervor zerrte und mit immer neuen Gegenständen auf ihn einprügelte. Vom Zollstock über die Schuhe oder Stiefel seines Vaters, den Holzstock und Schraubenzieher, bis zum Gürtel hatte Nils alles auf seinem Rücken gespürt. Wenn er wenigstens wüsste, weshalb sein Vater eine solche Wut auf ihn hatte. Ohne Grund schlug er auf ihn ein. Er war gut in der Schule, versuchte, nichts zu zerbrechen oder dreckig zu machen, penibel räumte er sein kleines Zimmer auf, half seiner Mutter in der Küche und beim Abwasch, alles nur um nicht die Wut seines Vaters zu wecken. Beim ersten Ton seines Vaters, wenn er das Haus betrat, wusste Nils, in welcher Stimmung er war. Selten befand er sich sogar in einem fast fröhlichen Zustand. Meistens war er mürrisch und schlecht gelaunt, wenn er hingegen laut schimpfend und brüllend, ungehalten und zornig, bereits zur Türe hereinkam, suchte Nils augenblicklich ein Versteck. Hilflos versuchte seine Mutter den Vater aufzuhalten, flehte und bettelte, dass er sie schlagen sollte und nicht den Jungen, zwar hörte Nils oft, wie der Vater dann auf die Mutter einschlug, aber dadurch wurde seine Wut nicht gemildert, er suchte seinen Sohn, bis er ihn fand!
    „Hast du heute Mittag Zeit, wir gehen schwimmen, im Weiher!“ Neugierig, den Blick auf das Comic gerichtet, setzte Philipp sich neben Nils auf die Mauer.
    „Nee, keine Lust!“ Wie sollte er ihm erklären, dass sein Rücken mit roten Striemen überzogen war?
    „Okay, vielleicht ein anderes Mal! Gehst du in die Werft?“ Fragend sah Philipp den Freund an, er wusste, dass Nils sich oft in der Werft am Hafen aufhielt. Bei den Arbeitern durfte er mit anpacken.
    „Wahrscheinlich!“, zuckte er die Achseln.
    „Das nächste Mal geh’ ich dann wieder mit!“, versprach Philipp. Die Schulglocke klingelte zur ersten Stunde, die Freunde schritten in das flache Schulgebäude. Nebeneinander setzten sie sich an ihren Tisch in dem Klassenzimmer mit den großen Fenstern, von denen aus man den Schulhof sehen konnte.
    In der ersten Stunde hatten sie Mathe bei Frau Schulz, das Fach, das Nils am meisten Freude machte. Im Nu hatte er alle Aufgaben gerechnet, während Philipp noch am ersten Block verzweifelte.
    „Tschüss denn“, vor ihren unterschiedlichen Gartentoren verabschiedeten sich Nils
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