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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit
Autoren: L Jensen
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es aber. Mein ganzer Körper erwacht. Ich bin nämlich von den Toten zurückgekehrt. Wie Lazarus. Oder Jesus Christus. Ich kann Dinge sehen, Roller. Katastrophen. Ich hab’s aufgeschrieben. Daten, Zeiten, Orte, alles. Wie der Wetterfrosch. Die sollten mich einstellen. Ich könnte ein Vermögen verdienen. Ich kann Dinge sehen, bevor sie passieren. Ich spüre sie. Wie Atome, die herumhüpfen. Vibrationen im Blut. Verfluchte riesige Wunden. Der schmelzende Planet. Das eisige Zeug, das aus den Rissen quillt. Dann erhitzt es sich wie eine Art Magma. Und
wusch
! Das gelobte Land.«
    |36| Sie lächelt mit strahlenden Augen und wirkt einen winzigen Sekundenbruchteil lang ekstatisch und mörderisch glücklich.
    Gewiss hat man Bethany unbeschreiblich grauenhafte Dinge zugefügt, um sie so weit zu treiben, Dinge, die sich niemals ungeschehen machen lassen. Und im Gegenzug hat auch sie etwas unbeschreiblich Grauenhaftes getan. Ich bezweifle, dass ich jemals zur Wurzel des Traumas vordringen werde, das sie dazu gebracht hat, ihre Mutter mit einem Schraubenzieher anzugreifen, doch könnte ich mir das Foto des Vaters noch einmal anschauen und die Vermutung wagen, dass er nicht ganz unbeteiligt ist. Was jetzt zählt, ist, dass Bethany »nach vorn blickt«, wie es im Fachjargon heißt, und auf das glänzende Förderband der psychischen Fortschritte steigt. Menschen wie ich sollten an die Reparierbarkeit glauben, und das habe ich auch getan, bis ich zum Objekt meines eigenen klinischen Versuchs wurde. Danach   …
    War es vorbei. Vielleicht glaube ich noch an Schadensbegrenzung. Manchmal. Wenn man, wie ich am 14.   Mai vor zwei Jahren, aufgehört hat, eine Frau zu sein, sieht man manche Dinge klarer als früher. Menschliche Beziehungen sind nicht mehr gefärbt von Sexualität, die alles verzerrt. Ist man davon befreit, sieht man die Dinge, wie sie sind, so wie Kinder und alte Leute es tun. Das ist meine Theorie. Mehr nicht. Außerdem, wer wollte behaupten, ich sei frei?
    »In meinem Kopf dreht sich das alles die ganze Zeit. Lauter Dinge, über die ich nachdenken muss, Dinge, die ich tun muss, das bin ich«, schließt Bethany. Nach der Sturzflut an Informationen, dem Energieausbruch wirkt sie plötzlich schlaff und unzufrieden mit sich. Ihre Phantasien sind fruchtbare Oasen in der Wüste der Langeweile, und das weiß sie auch.
    »Dinge aus der Abteilung Selbstzerstörung.«
    »Dinge aus der Abteilung Selbstzerstörung.«
Sie imitiert mich so gut, dass ich innerlich zusammenzucke. »Bla bla bla bla.«
    Ich lasse den Blick schweifen, bis ich mich im Spiegel sehe und mit den Augen einer Fremden beurteile:
eine Frau mit üppigem
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brünettem Haar, die sich auf ihre Arbeit verstehen mag und für stark beschädigte Ware recht gut aussieht, aber für immer von anderen abhängig sein wird. Die niemals wieder gehen, keinen Sex haben, kein Kind gebären wird. Die anderen immer zur Last fallen wird.
    Bethany hat aufgehört, sich hin und her zu wiegen, und schaut mich eindringlich an. Ich sage nichts, schätze aber instinktiv den Abstand zwischen uns ab. Unsere Positionen. Als mein Vater vor fünf Jahren ins Pflegeheim zog, kam mein Bruder Pierre aus Québec, und wir räumten zusammen den Bungalow aus. Ein Andenken, das ich mitnahm, war eine geologische Kuriosität, ein Donnerei, das Maman auf ihrer Frisierkommode aufbewahrt hatte: ein vollkommen kugelförmiges, faustgroßes Stück Feuerstein, ein Familienerbstück mit der exzentrischen Geschichte, dass es angeblich ausgebrütet würde, wenn nur jemand lange genug darauf säße. Maman hing sehr an diesem Donnerei, und mir geht es genauso, wenn auch nicht aus den gleichen romantischen Gründen. Entgegen den strengen Sicherheitsvorschriften habe ich die Steinkugel immer in einem Beutel unter meinem Sitz dabei, neben den üblichen Alarmvorrichtungen, die alle Mitarbeiter haben. Für Notfälle meine ebenfalls verbotene Mini-Spraydose mit Fotokleber, der angeblich so wirkungsvoll wie Tränengas ist. Was aber, wenn Bethany mit einem spitzen Bleistift auf mich einsticht und ich nicht schnell genug reagieren kann? Wie lange wird es dauern, bis der noch immer beschäftigte Rafik einschreitet und seinen Alarm betätigt? Ich bin in einem Rollstuhl gefangen und viel leichter zu töten als Mrs.   Krall.
    Als hätte sie meine Gedanken gelesen, schießt Bethany so schnell vor, dass ich nicht mehr reagieren kann, und ergreift mit ihrer kleinen, erstaunlich muskulösen Hand mein Handgelenk. Ihre Haut
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