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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit
Autoren: L Jensen
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wurde und Verantwortung für die weniger Glücklichen trägt.
    »Gabrielle, ich bringe Ihnen enormes Mitgefühl und Respekt |29| entgegen. Sie haben Dinge durchgemacht, die kein Mensch durchmachen sollte. So viele   … furchtbare Verluste. Aber Sie sind vom Fach«, sagte Dr.   Sulieman, als die Mitglieder des Ausschusses hinausgetrottet waren, wobei sie beunruhigte Blicke wechselten. »Betrachten Sie es mal aus der Sicht des Arbeitgebers.«
    Wenn meine Beine funktioniert hätten, hätte ich ihn getreten. Damals überkam mich der Drang zur Gewalt recht häufig.
    Die »negative Haltung«, mit der ich nach dem Unfall meinem reduzierten Status als menschliches Wesen begegnete, sei leider ein »schwerwiegendes Problem«. Während Sulieman sprach, betrachtete ich den Druck an der Wand hinter ihm, das Bild, das er als persönlichen Hintergrund gewählt hatte: Monets Seerosen mit ihrem hypnotischen Wechselspiel des Lichts, den sonderbar heißen Grün- und Blautönen. »Ein Problem, das gelöst werden muss, bevor wir Sie wieder als Therapeutin einsetzen können.« Er steht auf die modernen Klassiker, dachte ich, wo also ist Kandinsky? Wo ist Egon Schiele? Wo van Goghs
Selbstporträt mit verbundenem Ohr
? Wo sind Rothko und
Der Schrei
?
    Ich hatte soeben eine Stunde mit meinem Physiotherapeuten verbracht, um zu lernen, wie man Leuten wehtun kann. Ein Karateschlag in die Eier. Ein Spritzer Essig in die Augen. Ein Gegenstand an den Kopf. Krüppelpower. Ein Funke Mitleid in den Augen meines Chefs, und schon hätte der teure venezianische Briefbeschwerer – eine wirbelnde Rhapsodie aus eingefangenen Blasen und Kringeln – seinen Schädel getroffen.
    »Ich muss arbeiten, Omar. Wenn Sie mich nicht wieder nehmen, suche ich mir etwas anderes.«
    »Das wird Ihnen nicht guttun, Gabrielle. Und den Leuten, denen Sie helfen wollen, auch nicht.«
    »Sehen Sie sich diesen Stuhl an. Ich bin für immer daran festgeschmiedet. Wahrscheinlich werde ich nie wieder eine Beziehung haben. Oder Kinder. Nennen Sie es melodramatisch, aber ich liege jede Nacht im Bett und höre, wie die Tür zu meiner Zukunft zuschlägt. Wenn ich nicht das machen kann, worauf ich mich verstehe |30| und wozu ich noch in der Lage bin, worin Sie mich mit ausgebildet haben und was ich allem Anschein nach gut kann, wie soll ich dann noch ich selbst sein? Wenn Sie mir diese Frage beantworten können, wunderbar. Ich kann es nämlich nicht. Wenn ich nicht arbeiten kann, bin ich erledigt.«
    Als die Stelle in Oxsmith frei wurde, empfahl er mich. Drei Monate später hörte ich, er sei tot. Gute Menschen sterben wie die Fliegen, dachte ich. Und ich hatte mich nie richtig bei ihm bedankt.
    Tja, aus, vorbei.
     
    Rafik hat eine SMS bekommen, die er offenbar unbedingt beantworten muss. Bethany hat unterdessen die Gangart gewechselt. »Vielleicht sind Sie nur ein Produkt der Medikamente«, sagt sie verträumt. »Etwas in meinem Kopf. Das kommt vor. Ich habe noch eine Menge psychotrope Toxine im Blut, die bleiben für immer in meinem Körper. Wie Saccharin. Wussten Sie, dass Saccharin sich immer weiter im System anreichert?« Die Vorstellung, ich könnte eine Halluzination sein, scheint sie nicht zu beunruhigen. Und für mich hat sie im Augenblick durchaus ihren Reiz. »Wie soll ich meine neue Erlöserin nennen? Spasti? Heilige Gabrielle?«
    »Gabrielle reicht völlig.«
    Sie überlegt. »Roller.«
    »Gabrielle wäre mir lieber.« Ich drehe mich mit dem Rollstuhl, um ihr Profil zu betrachten. Sie schließt die Augen. Ein Moment vergeht.
    »Im Grunde sind Sie ein Fisch, oder?« Ihre Augen öffnen sich in unerwartetem Entzücken. Dunkle nächtliche Teiche. »Eine Meerjungfrau. Immer im Wasser! Diese Bewegungen! Es ist schön, aus dem Stuhl herauszukommen, was? Als wären Sie aus Ihrem Käfig befreit!« Sie strahlt, als hätte sie in Rekordzeit ein Rätsel gelöst.
    Ich sage nichts, während ich versuche, es zu begreifen. Vermutlich hat sie einfach das Chlor gerochen. »Wenn ich Ihre Hand |31| berühren könnte, wüsste ich noch mehr.« Die Freude ist einer belustigten Drohung gewichen. »Joy McConey musste ich nicht einmal berühren, um Dinge zu erkennen. Ich sah, was ihr bevorstand.« Falls sie damit um Erlaubnis bittet, wird sie sie nicht bekommen. Bei der ersten Begegnung gebe ich den Patienten die Hand, dulde ansonsten aber keinen Körperkontakt. »Mir fallen Dinge auf. Aber die meiste Zeit ist es mir scheißegal. Interessiert mich nicht die Bohne.«
    »Kannst du mir etwas über
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