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Endstation Wirklichkeit

Endstation Wirklichkeit

Titel: Endstation Wirklichkeit
Autoren: Stephan Klemann
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selbst, dass es wenig glaubhaft klang.
    „Ich weiß, wir sind in vielen Dingen unterschiedlicher Meinung. Aber ich bin dein Vater, und ich möchte dir helfen. Sag mir, was dich bedrückt. Vielleicht nützt das schon ein wenig!?“
    David lächelte in sich hinein und seufzte, bevor er die Lider wieder öffnete.
    Wenn du wüsstest! Wenn du nur verstehen, nur ahnen könntest, was mich bedrückt, und wie wenig du mir dabei helfen kannst!, dachte er.
    Wie sehr wünschte er sich, er hätte ihm wirklich helfen können.
    Der Vater stand eine Weile schweigend da und wartete auf eine Antwort, doch als er keine bekam, wollte er das Zimmer wieder verlassen und ging zur Tür.
    „Warte!“ David drehte sich um. Seine Augen füllten sich mit Tränen, was auch seinem Dad nicht entgehen konnte. Dessen Blick wirkte besorgt.
    „Bleib ruhig hier! Setz dich!“, sprach David leise und deutete auf sein Bett. Er setzte sich auf die Kante und vergrub sein Gesicht in den Händen.
    Sofort kam der Vater auf ihn zu und ließ sich neben ihm nieder. Vorsichtig legte er den Arm um die Schultern seines Sohnes, um ihn zu trösten. „Was ist denn los? Was bedrückt dich?“
    David überlegte, wie er es erklären sollte. Ob er es überhaupt erklären konnte – und wollte! War jetzt der Zeitpunkt gekommen, von seinen Gefühlen und Problemen zu berichten?
    Spontan entschied er, dass die Zeit reif war, sein Schweigen zu brechen und von sich zu erzählen.
    Wortlos griff er nach dem Brief, den er an diesem Morgen erhalten hatte, und gab ihn seinem Dad.
    Die Minuten verstrichen quälend langsam. Der Vater bewegte sich kaum, während sein Blick über die Zeilen flog, die auf dem bereits in Mitleidenschaft gezogenen Blatt Papier standen.
    David glaubte zu wissen, dass er den Brief wenigstens zweimal gelesen haben musste, solange, wie er brauchte.
    Aber sein Vater sagte kein Wort. Stattdessen reichte er ihm schweigend das Schreiben und starrte verlegen auf den Boden. Erst nach endlosen Minuten brach er die Stille im Raum. „Seit wann?“ Mehr brachte er nicht heraus.
    David glaubte an der Frage und Tonlage, in der sie gestellt wurde, bereits zu erkennen, wie er reagieren würde.
    „Seit wann was?“, erwiderte er kurz, obwohl er genau wusste, was sein Vater meinte.
    „Seit wann weißt du, dass du ... dass du ... Seit wann bist du so?“ Dem Vater fiel es schwer darüber zu sprechen. „Weiß Mutter davon?“, ergänzte er seine Frage.
    David schüttelte den Kopf. „Nein, sie weiß nichts. Und ich … ich war schon immer ... schon immer ... so!“, erwiderte er beinahe trotzig. Auch er konnte das Wort, das sein Anderssein beschrieb, das erklärte, dass er Männer mochte, nicht aussprechen.
    „Und du schämst dich nicht dafür? Warum hast du nie etwas gesagt? Vielleicht hätten wir dir helfen können? Dr. Bolder ist ein guter Arzt, er hätte bestimmt etwas für dich tun können!“
    David sah seinen Vater fassungslos an. Was er da gerade gehört hatte, war wie ein brutaler Faustschlag in den Magen. „Dad! Es gibt keinen Grund zu einem Arzt zu gehen. Ich bin nicht krank!“
    Noch immer vermied es der Vater, ihn anzusehen. Er saß wie versteinert da und starrte weiterhin auf den Boden.
    „Mir ist es nicht leichtgefallen, mir das einzugestehen. Aber ich bin nun einmal so. Ich kann nichts dafür, dass ich schwul bin!“
    Jetzt war es heraus! Jetzt hatte er das Wort über seine Lippen gebracht. Sein Vater war merklich zusammengezuckt.
    „Natürlich kannst du etwas dafür!“, wiedersprach er barsch. „So wird man nicht geboren, und so haben wir dich nicht erzogen. Wahrscheinlich hat dich dieser Alan dazu verführt. Und du hast dich nicht richtig dagegen gewehrt!“
    David schnappte entsetzt nach Luft. „Was redest du da? Alan hat mich nicht dazu verführt! Ich habe schon lange bevor ich von ihm wusste so empfunden. Und selbst wenn es so gewesen wäre: Warum sollte ich mich dagegen wehren? Ich bin zufrieden. Es ist nichts Schlimmes oder Krankhaftes, schwul zu sein!“
    Die Gesichtszüge des Vaters verfinsterten sich schlagartig. „Es ist eine Schande! Es ist unnatürlich, unmoralisch und abstoßend! Wenn das die Nachbarn erfahren ...“ Erbost stand er auf und verließ kopfschüttelnd das Zimmer. Von dem Angebot, seinem Sohn bei dessen Problemen zu helfen, war nichts mehr zu erkennen.
    David hätte ihm gerne eine passende Antwort nachgerufen, aber er sah ein, dass er damit nichts erreichen würde. Dafür war sein Vater zu stur und vermutlich auch viel
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