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Endstation für neun

Endstation für neun

Titel: Endstation für neun
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
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dass er nicht würgen musste. Er drehte den Kopf und sah Hammar an, der ausdruckslos in den Regen hinausstarrte.
    »Kannst du mir sagen, was er hier zu suchen hatte?«, fragte Hammar tonlos. »In diesem Bus?«
    Und im selben Augenblick wusste Martin Beck, wen der Mann, der ihn angerufen hatte, gemeint hatte.
    Am Fenster hinter der Treppe zum Oberdeck saß Äke Stenström, Kriminalassistent bei der Reichsmordkommission und einer von Martin Becks jüngsten Mitarbeitern. Saß war vielleicht nicht das richtige Wort. Stenströms dunkelblauer Popelinemantel war blutdurchtränkt, und er selbst lehnte halb liegend mit der rechten Schulter auf dem Rücken einer jungen Frau, die auf dem Platz neben ihm zusammengeklappt war.
    Er war tot. Genau wie die Frau und die sechs anderen Menschen im Bus. In der rechten Hand hielt er seine Dienstwaffe.

7
    Es regnete noch die ganze Nacht, und obwohl die Sonne laut Kalender um zwanzig vor acht aufging, war es schon fast neun, als es dem Licht endlich gelang, die Wolkendecke zu durchdringen und ein zögerliches, verhangenes Zwielicht zu verbreiten.
    Auf dem Bürgersteig der Norra Stationsgatan stand der rote Doppeldeckerbus noch genauso quer, wie er neun Stunden zuvor stehengeblieben war.
    Das war jedoch das Einzige, was sich nicht verändert hatte. Innerhalb der weiträumigen Absperrung hielten sich mittlerweile etwa fünfzig Einsatzkräfte auf, und hinter ihr drängten sich immer mehr Schaulustige. Viele von ihnen hatten dort seit Mitternacht ausgeharrt, auch wenn alles, was sie gesehen hatten, nur die zahlreichen Polizisten und Rettungssanitäter und heulenden Einsatzfahrzeuge aller Art waren. Es war eine Nacht der Sirenen gewesen, mit einem ständigen Strom von Autos, die scheinbar ohne Sinn und Ziel über regenglänzende Straßen rasten.
    Niemand wusste etwas Genaues, aber ein Wort machte flüsternd die Runde und verbreitete sich schon bald in konzentrischen Wellen durch die Zuschauerreihen und die umliegenden Gebäude und die Stadt und nahm schließlich immer festere Form an und wurde ins ganze Land hinausgeschleudert. Inzwischen war das Wort längst bis weit über die Grenzen hinaus vorgedrungen. Massenmord.
    Massenmord in Stockholm. Massenmord in einem Bus in Stockholm.
    So viel glaubten alle zu wissen.
    Im Polizeipräsidium in der Kungsholmsgatan wusste man auch nicht viel mehr. Tatsächlich wusste man nicht einmal genau, wer die Ermittlungen leitete. Es herrschte völliges Chaos. Unaufhörlich klingelten Telefone, Menschen kamen und gingen, die Fußböden waren schmutzverschmiert und die Männer, die sie verdreckten, aufgeregt und durchnässt von Schweiß und Regen.
    »Wer kümmert sich um die Namenliste?«, fragte Martin Beck. »Rönn, glaube ich«, antwortete Kollberg, ohne sich umzudrehen. Er war dabei, eine Planskizze an die Wand zu kleben. Die Zeichnung war drei Meter lang und mehr als einen halben Meter hoch und nicht leicht zu handhaben. »Kann mir vielleicht mal jemand helfen!«, rief er. »Na klar«, meinte Melander gelassen, stand auf und legte seine Pfeife ab.
    Fredrik Melander war ein großer, hagerer Mann mit ernster Miene und methodischer Veranlagung. Er war achtundvierzig Jahre alt und Erster Kriminalassistent beim Dezernat für Gewaltdelikte der Stockholmer Polizei. Kollberg hatte früher viele Jahre mit ihm zusammengearbeitet. Wie viele genau, hatte er vergessen. Melander hingegen nicht, er war dafür bekannt, nie etwas zu vergessen. Zwei Telefone klingelten.
    »Ja. Hier spricht Kommissar Beck. Wer? Nein, er ist nicht hier. Soll er zurückrufen? Gut, dann nicht.«
    Er legte auf und griff nach dem zweiten Telefon. Ein fast weißhaariger Mann um die fünfzig schob schüchtern die Tür auf und blieb zögernd auf der Türschwelle stehen. »Ja, Ek, was willst du?«, fragte Martin Beck, während er gleichzeitig den Hörer abhob. »Es geht um den Bus«, sagte der Weißhaarige.
    »Wann ich nach Hause komme? Das weiß ich beim besten Willen nicht«, sagte Martin Beck ins Telefon. »Verdammt«, fluchte Kollberg, als sich der Klebestreifen zwischen seinen dicken Fingern verfing. »Immer mit der Ruhe«, sagte Melander.
    Martin Beck wandte sich wieder dem Mann auf der Türschwelle zu.
    »Ja. Was ist mit dem Bus?«
    Ek schloss die Tür hinter sich und studierte seine Notizen. »Er wurde in den Leyland-Werken in England gebaut«, sagte er. »Das Modell heißt Atlantean, wird hier bei uns Modell H35 genannt. Der Bus hat fünfundsiebzig Sitzplätze. Das Merkwürdige ist…« Die
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