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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
Autoren: Frank Brady
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Joan nach einer neuen Möglichkeit, ihren umtriebigen Bruder zu beschäftigen, und kaufte ihm dort für einen Dollar eine Schachgarnitur. Die hohlen Plastikfiguren waren kaum höher als zwei Zentimeter, das faltbare Brett bestand aus Karton und hatte rote und schwarze Quadrate. Weder Joan noch Bobby hatten je zuvor Schach gespielt, aber sie folgten einfach den Anweisungen im Deckel der Schachtel. Joan versuchte, die Regeln zu verstehen und sie Bobby zu erklären. Erst wurden die Figuren mit ihren Namen vorgestellt, dann wurde beschrieben, wie sie zogen. »Die Dame darf sich so viele Felder in eine Richtung bewegen wie möglich. Der Springer zieht in L-Form auch über andere Figuren hinweg«, usw. Darüber hinaus bot die Anleitung nur ein paar ganz grundsätzliche Hinweise, etwa, dass Weiß begann und das Ziel des Spiels darin bestand, den gegnerischen König schachmatt zu setzen.
    »Wir kannten niemanden, der Schach spielte, und hatten auch nie jemanden spielen gesehen«, schrieb Fischer später. Es lässt sich unmöglich feststellen, ob Bobby Fischer seine erste Partie gewann. Wenn man aber bedenkt, wie schnell der kleine Bobby Rätsel löste und gegen wen er antrat – seine Schwester, die sich nie recht mit Schach anfreundete –, darf man das getrost vermuten. »Anfangs war Schach nichts Besonderes für mich«, erinnerte sich Bobby. »Ein Spiel wie alle anderen, nur ein bisschen komplizierter.« Da Joan mit ihren Hausaufgaben reichlich zu tun hatte – sie war fleißig in der Schule und gehörte zu den Klassenbesten –, verlor sie schnell das Interesse an Schach. Um einen neuen Spielpartner zu bekommen, lernte Bobby Regina an. Später meinte Bobby: »Sie war zu beschäftigt, um ernsthaft spielen zu können. So schälte sie nebenher Kartoffeln oder stopfte Socken. Das nervte mich natürlich gewaltig. Wenn ich sie geschlagen hatte, drehte ich das Brett herum und spielte ihre Farbe, bis ich sie ein zweites Mal besiegt hatte. Bald langweilte das uns beide, und ich suchte mir jemanden, mit dem ich regelmäßig spielen konnte.«
    Der sechsjährige Bobby schlug seine elfjährige Schwester und seine 36-jährige Mutter, obwohl beide blitzgescheit waren. Das sagt viel darüber aus, wie gut er schon nach kürzester Zeit gespielt haben muss. Bobby erfreute sich an seinen neuen Fähigkeiten und tankte mit seinen Siegen Selbstbewusstsein. Nur hatten leider weder Mutter noch Schwester jemals wirklich Lust zu spielen. »Meine Mutter ist für Schach total unbegabt«, gab Bobby einmal in einem Interview an. »Eine Katastrophe.«
    Da Bobby keinen echten Gegner hatte, spielte er meistens gegen sich selbst. Partie um Partie saß er vor dem winzigen Brett, zog erst mit Weiß und drehte das Brett dann um, wobei oft Figuren zu Boden fielen. Er hob sie rasch auf, setzte sie wieder auf ihre Felder und zog dann für Schwarz. Der Versuch, sich selbst zu überlisten, erforderte natürlich eine ganz besondere Denkweise. So wusste Schwarz ja, was Weiß vorhatte, und umgekehrt, weil Bobby Schwarz und Weiß spielte. Partien gegen sich selbst machten Bobby nur Spaß, wenn er das Brett nach jedem Zug völlig neu betrachtete und so tat, als spiele er gegen einen echten Gegner. Er versuchte zu vergessen, was er gerade noch geplant hatte. Eingehend musterte er die Stellung und suchte nach Fallen, die sein »Gegner« ihm gestellt hatte, nach dessen heimlichen Plänen. So manchem Leser mag diese Spielweise bescheuert, hochgradig verwirrend oder gar schizophren vorkommen. Doch sie brachte Bobby ein unheimliches Gefühl für das Brett ein, für Stellungen und die Rollen der Figuren, für die Choreografie, nach der eine Schachpartie ablief. »Irgendwann setzte ich den anderen immer schachmatt«, erzählte er später kichernd.

    Im Herbst 1950 verließ Regina mit der Familie Manhattan und zog über den East River nach Brooklyn, wo sie ein günstiges Apartment an der Union Ecke Franklin Street gemietet hatte. Nur vorübergehend, wie sie sich sagte. So bald wie möglich wollte sie wieder in ein besseres Viertel ziehen. Wegen des Krieges hatte sie in der UdSSR ihr Medizinstudium ja nicht abschließen können, doch nun war sie fest entschlossen, sich zur Krankenschwester ausbilden zu lassen. Kaum hatte sie sich an der Prospect Heights-Schwesternschule eingeschrieben, zog die rast- und heimatlose Familie Fischer erneut um. Ihr zehnter Umzug in sechs Jahren führte sie in eine Dreizimmerwohnung am Lincoln Place 560 in Brooklyn, wo die Miete 52 Dollar im
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