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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
Autoren: Frank Brady
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aktuellste Ausgabe der modernen Schachbibel, Modern Chess Openings , mitverfasst. Das Buch enthielt Tausende Stellungen, Varianten, Analysen und Empfehlungen. Schon lange, bevor er Collins’ Schüler wurde, hatte Bobby angefangen, historische und aktuelle Schachpartien zu analysieren. Seit Neuestem schlug er immer öfter Dinge in Collins’ Schachbibliothek nach, die Hunderte Fachbücher und -zeitschriften enthielt.
    Es war schwül, Regen lag in der Luft. Einige Monate zuvor war Fischer auf einem Turnier in Philadelphia amerikanischer Juniorenmeister geworden, aktuell kam er gerade von der offenen amerikanischen Meisterschaft in Oklahoma zurück. Dort war er mit 13 Jahren der jüngste Teilnehmer aller Zeiten gewesen. Der 44-jährige Collins war ein äußerst erfahrener Turnierspieler, ehemaliger Meister des Staates New York und ein hoch angesehener Schachlehrer.
    Das seltsame Paar spielte weiter seine unsichtbare Partie. Bobby zog im Geist die weißen Figuren, Collins die schwarzen. Die Partie wogte hin und her, beide Spieler waren mal Jäger, mal Beute.
    Noch maß Bobby, der für sein Alter immer klein gewesen war, nur 1,60 Meter, hatte aber in letzter Zeit begonnen, aus seinen Kleidern zu wachsen und in die Höhe zu schießen. Im Alter von 18 Jahren erreichte er eine Größe von 1,88 Metern. Er hatte helle, haselnussbraune Augen und ein strahlendes, breites Lächeln, mit einer kleinen Lücke zwischen den Schneidezähnen. Sein breites Grinsen wirkte wie das eines um Anerkennung buhlenden Kindes. An jenem Abend trug er ein Polohemd, braune Cordhosen (trotz der Augusthitze) und abgelatschte schwarz-­weiße Fünf-Dollar-Turnschuhe. Beim Sprechen näselte er leicht; möglicherweise hätte man ihm besser die Mandeln oder Polypen entfernt. Seine Frisur wirkte, als hätte ihm seine Mutter Regina oder seine Schwester Joan vor langer Zeit einen Bürstenschnitt verpasst, der jetzt langsam verwilderte. Bobby sah eher aus wie ein Bauernjunge aus Kansas als ein Kind aus den Straßen Brooklyns.
    Gewöhnlich lief er einige Schritte voraus, als wäre er lieber schneller gegangen. Nur widerwillig bremste er sich, um seine Züge zu verkünden oder die Antwort seines Lehrers zu hören. Seine Reaktion auf Collins’ Züge kam sofort, als bräche sie tief aus seinem Unterbewusstsein hervor, wo Läufer über Diagonalen huschten, Springer über Figuren setzten und Türme entscheidende Felder besetzten. Gelegentlich schweifte er im Geist aber auch ab, dann stellte er sich vor, einen Baseballschläger zu schwingen und einen unsichtbaren Ball auf die linke Tribüne des Ebbets Field zu dreschen. Denn am allerliebsten wäre der junge Bobby Fischer ein zweiter Duke Snider geworden, ein legendärer Baseballheld für die Brooklyn Dodgers.
    Es war erstaunlich, dass Fischer im Alter von 13 Jahren im Blindschach brillieren konnte. Selbst viele erfahrene Spieler beherrschen die Kunst nie. Dabei bevorzugte Bobby gar nicht, ohne Brett zu spielen. Er wollte nur einfach immer und überall spielen, und der 20-minütige Spaziergang von Collins’ Haus zum Silver Moon wäre ihm eine zu lange Pause gewesen. Den Verkehrslärm, die Kakophonie aus Stimmen und Musik blendete er völlig aus.
    Trotz seines jungen Alters hatte Bobby schon Tausende Partien gespielt, viele davon in einer Form namens »Blitzschach« oder kurz »Blitz«. Von Blitzschach spricht man, wenn beide Spieler für eine Partie insgesamt maximal 15 Minuten Bedenkzeit haben, statt, wie sonst üblich, Stunden. Oft vereinbaren die Kontrahenten sogar eine kürzere Bedenkzeit von fünf oder noch weniger Minuten, um die Sache interessanter zu machen. Dazu wurde manchmal vereinbart, dass man für keinen Zug länger brauchen durfte als eine Sekunde. In diesen Fällen blieb keine Zeit fürs Nachdenken, für diesen vertrauten inneren Monolog: Wenn ich meinen Turm dorthin ziehe und er seinen Läufer hierhin, dann sollte ich vielleicht meine Königin dorthin – nein, so geht’s nicht! Denn dann schlägt er meinen Bauern. Stattdessen sollte ich lieber ... In jahrelanger Übung und Tausenden Blitzschach-Partien hatte Bobby einen überaus scharfen Blick für die aktuelle Lage auf dem Brett entwickelt.
    Bei ihrem Spaziergang über die Straßen Brooklyns tauschten Fischer und Collins während des Spiels wissende Blicke aus, als nähmen sie an einem geheimen Ritual teil. Fast am Restaurant angekommen, wollten die beiden die Partie noch schnell zu Ende bringen. Als sie den Eingang erreichten, waren etwa 25
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