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Endlich

Endlich

Titel: Endlich
Autoren: Christopher Hitchens
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Außenminister Colin Powell hatte sich – entweder vom Verteidigungsministerium getäuscht oder aus Loyalität mit seiner Regierung – mit einer haltlosen Demonstration vor der UNO blamiert und hatte versäumt, deswegen zurückzutreten; die New York Times und die Washington Post hatten sich bei ihren Lesern dafür entschuldigt, dass sie ihren journalistischen Pflichten nicht nachgekommen waren. Das einzige Rätsel blieb, warum der mächtigste Militärapparat der Welt nicht eine Sekunde lang die Möglichkeit in Erwägung gezogen hatte, dass ein arabischer Diktator lieber eine Invasion der USA in Kauf nahm, als zuzugeben, dass er gar keine Massenvernichtungswaffen besaß.
    Mein Interview mit Hitchens war eine Enttäuschung. Tatsächlich ließ er nicht mit einem einzigen Satz erkennen, dass er sich – ebenso wie viele andere – verlaufen hatte. Er bestritt trotz des erdrückenden Beweismaterials, das ich ihm vorführte, dass die Bush-Regierung jemals einen Zusammenhang zwischen dem Attentat vom 11. September und der Invasion in Irak konstruiert hatte. Er hielt an der längst widerlegten Behauptung fest, dass im Irak Massenvernichtungswaffen existierten oder auf dem Wege der Konstruktion gewesen waren. Wann immer ich ihn mit den inzwischen überall veröffentlichten Beweisen für die »Iraklüge« konfrontierte, antwortete er mit Ausflüchten wie »ich glaube kein Wort davon«, oder »diese Wette verlierst du« oder auch: »Ich habe bessere Informationen als das Pentagon.« Als ich ihn fragte, ob er nicht manchmal das Gefühl habe, dass ihn seine Position in die Nähe von Leuten bringe, die er eigentlich gar nicht ausstehen könne, antwortete er – nun wieder in bester Hitchens-Manier: »Du hast völlig recht. Aber das ist für mich nichts Neues.«
    Man kann diese Weigerung, einen eigentlich nicht mehr bestreitbaren Irrtum einzugestehen, für Charakterstärke halten. Ich bekenne, dass ich es lieber mit dem auch von Hitchens’ geschätzten Philosophen Sir Karl Popper halte. Das größte intellektuelle Verbrechen, meinte Popper, sei das Nicht-Eingeständnis eines erkannten Irrtums. Wie aber, wenn ein Intellektueller einen Irrtum partout nicht erkennen will?
    Beim Wiederlesen meines Streitgesprächs mit Christopher Hitchens entdeckte ich eine Stelle, die mir seine Haltung verständlich macht. Hitchens war bereits Mitte der siebziger Jahre als ganz junger Mann von einem irakischen Kultur-Funktionär nach Irak eingeladen worden. Saddam Hussein war gerade dabei, seine Macht zu befestigen.
    Es ist schwierig, meine Erfahrungen bei diesem ersten Besuch zu beschreiben. Ich war in Polen gewesen, in Francos Spanien, in Griechenland nach dem 2. Putsch – ich kannte Städte, die in Furcht lebten. Aber was ich in Bagdad erlebte – die Atmosphäre der Angst –, war damit unvergleichbar. Es war die Hölle – eine unglaubliche Herrschaft des Schreckens war auf dem Wege, sich zu etablieren. Ich habe niemals dieses Klima der Angst vergessen. Ich gehörte zu einer Gruppe aus linken Labour-Mitgliedern, Gewerkschaftern und Kommunisten namens KADRI (Kampagne zur Wiederherstellung demokratischer Rechte in Irak). Es war eine sehr effiziente Gruppe, die über ausgezeichnete Informationen aus dem Irak verfügte und als Erste das Saddam Hussein-Regime als ein faschistisches Regime beschrieben hat. Für mich war also die Auseinandersetzung mit der Baath-Partei und ihrer Ideologie eine alte Geschichte – einer Ideologie, die sich aus dem übelsten Erbe Europas speist: aus dem europäischen Nationalismus und dem Faschismus. Trotzdem habe ich lange gezögert, das Baath-Regime faschistisch zu nennen. Es war dann der Soziologe Kanan Makiya, der mich davon überzeugte. Wir hätten von Anfang an erklären sollen, dass es darum ging, eine faschistische Macht am Golf zu beseitigen.
    Für Christopher Hitchens war es eine alte Geschichte, ein alter Hass. In seinen Augen bedurfte es nicht des Attentats vom 11. September 2001 und auch nicht des propagandistischen Gespensts von Massenvernichtungswaffen in Irak, um einen Krieg gegen Saddam Hussein zu rechtfertigen. Dessen Schreckensherrschaft und sein Giftgaskrieg gegen die Kurden waren für ihn Grund genug, um sich für den im ersten Irakkrieg verpassten Sturz des Tyrannen zu engagieren. Tatsächlich hat Hitchens in seiner Autobiographie mit Stolz auf die »Handvoll Mitverschwörer« hingewiesen, die die Meinung in Washington über Saddam Hussein veränderten und zu seinem Sturz beitrugen – darunter
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