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Endlich

Endlich

Titel: Endlich
Autoren: Christopher Hitchens
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Autobiographie The Hitch , jeden Tag mindestens 1000 Wörter zu Papier gebracht. Und er gehörte nicht zu denen, die ihre Freunde via E-Mail mit einem Hinweis auf jeden gerade erschienenen Artikel beglücken. Sein Freund und Agent Steve Wasserman hatte einmal versucht, Christopher, mich und andere Autoren in ein Projekt über die Zehn Gebote einzubinden. Jeder von uns sollte eines der Zehn Gebote kommentieren – ich hatte mich für das siebte Gebot »Du sollst nicht stehlen« entschieden. Aber irgendwann hatte sich der Verleger dazu durchgerungen, Christopher alle Zehn Gebote anzuvertrauen – das Buch, so meinte er, werde auf diese Weise deutlich früher fertig, als wenn zehn Autoren jeweils ein Kapitel verfassten. Ich weiß nicht, was aus diesem Projekt geworden ist. Jedenfalls habe ich einen guten Teil von Hitchens’ anderen Buch-Veröffentlichungen verfolgt – mit Zustimmung und Bewunderung seine Polemik gegen Henry Kissinger, eher verwundert seine Abrechnung mit Mutter Teresa und mit Bill Clinton.
    Zu einer deutlichen Erkältung unserer Freundschaft kam es, als Christopher sich mit all seiner Beredsamkeit und Überzeugungskraft für die Invasion der G. W. Bush-Regierung in den Irak einsetzte. Man tut dieser Regierung sicher nicht Unrecht mit der Feststellung, dass sie mit Christopher Hitchens den mit Abstand wortmächtigsten Anwalt für diesen verfehlten Krieg gewonnen hatte. Unser Streit wurde nicht gemildert durch die Tatsache, dass wir uns, was die Bewertung von Saddam Husseins Terror-Regime anging, durchaus einig waren. Auch in der Frage der Berechtigung einer militärischen Intervention gegen ein Mörderregime, gegen das alle diplomatischen Mittel versagen, gab es zwischen uns keine prinzipiellen Differenzen. Zwar war mir der Euphemismus eines »gerechten Krieges« suspekt – ich zog es im Fall der viel zu späten Interventionen des Westens in Bosnien und Kosovo vor, von einem »gerechtfertigten« bzw. einem »unvermeidlichen« Krieg zu sprechen.
    Aber die Kriegserklärung der Bush-Regierung und ihre Begründung hatten mich von Anfang an nicht überzeugt. Ich hatte von den USA aus den schmutzigen Wahlkampf der Republikaner und ihren bis heute umstrittenen »Wahlsieg« in Florida beobachtet. Das anschließende Kreuzzugs-Getöse, die Formel von »der Achse des Bösen«, die manichäische Erklärung »Wer nicht für uns ist, ist gegen uns«, die Einteilung in »willige« bzw. »unwillige« und deswegen zu bestrafende Alliierte, die Behauptung, die USA könnten gleichzeitig zwei oder auch drei Kriege führen und gewinnen – das alles erschien mir großmäulig, arrogant und einer Vormacht des demokratischen Westens nicht würdig. Wie konnte Christopher Hitchens, der doch aus der europäischen Aufklärung und ihrer Kultur des Zweifels kam, sich mit diesen Leuten gemeinmachen? Wie brachte er es über sich, als ein »regierungsnaher Dissident«, wie er sich in seiner Autobiographie einmal nennt, zusammen mit den Pentagon-Strategen in der Air Force One nach Chicago zu reisen, um für den Krieg Stimmung zu machen?
    Die Zusammensetzung der Gäste an Hitchens’ Tafel veränderte sich in dieser Zeit. Statt Schriftstellern, Journalisten und glitterati aus der Literaturszene traf man dort plötzlich Berater, Redenschreiber der Bush-Regierung und Zuarbeiter des Pentagon. Hitchens’ Frau Carol stand zu ihrem Mann, aber widersprach mir nicht, wenn ich mein Unbehagen äußerte. Einmal kündigte Christopher mir an, ich werde am späteren Abend den klügsten und gebildetsten Menschen in Washington kennenlernen. Ich erschrak, als er den Namen dieses Gastes nannte: Paul Wolfowitz. Ich entschuldigte mich mit einem Vorwand und ging, bevor dieser Gast eintraf. Aber gleichzeitig beeindruckte mich Christophers Vertrauen und seine Arglosigkeit: Er war fest davon überzeugt, dass er auf der richtigen Seite stand; er konnte und wollte sich einfach nicht vorstellen, dass ich, sein Freund, mit diesem, seinem neuen Freund keinesfalls Freund werden wollte.
    Jahre später habe ich mit Christopher Hitchens ein Interview geführt. Es ist 2007 in der ZEIT unter dem Titel erschienen: »Warum kannst du nicht einfach sagen: Ich habe mich geirrt?«
    Ich glaubte, es einfach mit dieser Befragung zu haben. Denn inzwischen waren auch sämtliche Regierungskommissionen der USA zu der Einsicht gelangt, dass die offiziellen Begründungen für den Irakkrieg falsch waren. Es hatte nie Massenvernichtungswaffen in Irak gegeben; der damalige
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