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Endlich

Endlich

Titel: Endlich
Autoren: Christopher Hitchens
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Folterer später befragte, war ich an diesem Aspekt besonders interessiert. O ja, sagten sie mit einer gewissen Genugtuung, es gibt da viele kleine Bewegungen und Rucke und Drehungen, die dafür sorgen, dass die Sache stimmt, und dabei keine Spuren hinterlassen. Da bemerkt man wieder den Stolz auf die technische Perfektion und den beinahe humanistischen Tonfall von Professionalität. Die Sprache der Folterer …
    Ich schreibe aus folgendem Grund in diesem Zusammenhang über das Thema: Seit ich den ursprünglichen Artikel geschrieben und veröffentlicht habe – einige Zeit, ehe bei mir der Speiseröhrenkrebs diagnostiziert wurde –, habe ich an einer Form von Nach-Folter-Stress gelitten, die man wahrscheinlich erst noch klassifizieren und benennen muss. In meinem Falle hat sie jedenfalls mit Erstickungsgefühlen zu tun. Und das »Aspirieren«, das unfreiwillige Einatmen von Feuchtigkeit kann eine Flutwelle von Panik auslösen; es hat sich mit den stärkeren und tödlicheren Symptomen meiner verschiedenen Lungenentzündungserlebnisse verknüpft. Und jeden Tag bin ich gezwungen, mich darauf vorzubereiten, dass mir flüssige Nahrung durch einen Schlauch zugeführt wird oder dass man mich (bei unterschiedlichen Graden des Eintauchens ins Wasser) wäscht oder dass ich mich sonstwie in höchst verletzlichen Positionen finde. So dass ich großes Glück habe, insofern ich nie das hassenswerte Flüstern des Folterers gehört habe, nie beim Gedanken erzittern musste, dass ich nur eine kleine Drehung oder einen winzigen Ruck entfernt bin von großer Angst und Bedrängnis (distress , ein Wort, das auf der Euphemismusskala ziemlich weit oben steht). Aber ich weiß jetzt, wie der Trick, der sehr effektive Trick geht.
    Ich bin im Verlauf meiner Krankheit durch verschiedene bedeutende amerikanische Kliniken gewandert, von denen mindestens eine dafür berühmt ist, dass sie von einer historischen Ordensgemeinschaft betrieben wird. In jedem Zimmer dieses Hospitals wird – egal, in welcher Perspektive man im Bett liegt – die Sicht von einem großen schwarzmetallenen Kruzifix beherrscht, das hartnäckig an der Wand fixiert ist. Ich hatte dagegen einerseits nichts Besonderes einzuwenden, da das Kruzifix kaum etwas anderes tat, als den Namen des Krankenhauses zu wiederholen. (Ich streite mich eigentlich nur dann mit den Herrschaften vom Seelsorgerbüro herum, wenn ich ein gewichtiges Argument habe. In Texas stimmten sie mir am Ende prinzipiell zu, dass es ein wenig idiotisch sei, in einer nagelneuen Anlage, deren Türme mit über zwei Dutzend Geschossen aufragten, auf den dreizehnten Stock zu verzichten und gleich von zwölf zu vierzehn zu springen. Es kommt doch gewiss niemand her, um sich über kosmische Ängste zu beklagen, die von jener Zahl erzeugt werden; es würde doch gewiss niemand deswegen das Hospital verlassen. Wir sind übrigens offenbar nicht in der Lage, festzustellen, wo dieser feuchtklamme kleine Aberglaube seinen Ursprung hat.)
    Andererseits weiß ich zufällig auch, dass es in den Religionskriegen und bei den Prozessen der Inquisition Brauch war, den zum Tode Verurteilten den Anblick des Kreuzes aufzuzwingen, bis sie gestorben waren. Auf einigen der leidenschaftlichen Bilder von den großen autos da fé (den »Glaubensbezeugungen«) – ich glaube, auch auf denen, wo Goya das Lebendig-Verbrannt-Werden auf der Plaza Mayor darstellt – sehen wir Flammen und Rauch um das Opfer hochschlagen, während ihm das Kreuz mit grimmiger Unausweichlichkeit vor die sich schließenden Augen gehalten wird. Ich muss sagen: Auch wenn dies Kreuzvorzeigen heute auf sozusagen palliative Weise geschieht, empfinde ich dabei Missbilligung, weil zwangsläufig Erinnerungen an die alte sadistische Praxis aufkommen. Es gibt banale, alltägliche Hospitäler und Arztpraxen, die einen an die staatlich verordnete Tortur erinnern. In meinem eigenen Fall gibt es auch medizinische Praktiken, die ich gar nicht von der Hölle früherer Gräuel trennen kann. Der bloße Gedanke an irgendeine unorthodoxe Verwendung von Wasser oder Gas (wie etwa an eine Atembehandlung, die mit angefeuchteter oder »nebularer« Luft arbeitet), reicht schon aus, dass mir in kritischem Maße schlecht wird. Als ich zuerst über einen Titel für dieses Buch nachdachte, überlegte ich mir, ob ich die halbe Gedichtzeile »Obszön wie Krebs« annektieren sollte – aus Wilfred Owens entsetzenerregendem Gedicht über den Tod an der Westfront im Ersten Weltkrieg, »Dulce et decorum
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