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Endlich war wieder Weihnachten

Endlich war wieder Weihnachten

Titel: Endlich war wieder Weihnachten
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wäre man glücklicher gewesen, wenn statt der Kälte eine warme Sonne geschienen hätte.«
    Der Mann sah seinen Mitreisenden erstaunt an und winkte dann ab. »Weiß man das so genau?« fragte er. »Seit wann schneit's in Palästina?«
    »Es steht in der Heiligen Schrift.«
    »O Gott, hören Sie mir damit auf! Was steht da nicht alles drin, und wie sieht die Wirklichkeit aus?!«
    »Sie lesen keine Bibel?«
    »Nein! Und aus der Kirche bin ich auch ausgetreten.« Der Mann räkelte sich und streckte die Beine vor. Fast berührten sich ihre Füße. »Ich sehe an Ihrem Blick … Sie fragen: Warum? Das will ich Ihnen sagen. Ich glaube an Gott, aber an einen anderen, als man ihn uns von den Kanzeln predigt. Wo war der gütige Vater, als die Kriege Hunderte von Millionen Toten forderten? Wo war er bei der Inquisition, bei den Hexenverbrennungen und bei den Pest- und Cholera-Jahren? Warum läßt er zu, daß Hunderttausende bei Überschwemmungen ertrinken oder auf ausgedörrtem Land verhungern? Immer die Ärmsten, und Frauen und Kinder! Und wo man hinblickt: Kriege, Haß, Terror, Lügen, Elend und Zerstörung, Korruption und Skrupellosigkeit! Die Schwachen werden getreten, und die Starken schwingen die Fäuste. Hat Gott diese Welt so gewollt?«
    »Nein.«
    »Und warum ändert er es nicht … dieser Allmächtige, wie er genannt wird?«
    »Er glaubt immer noch an das Gute im Menschen.«
    »Ich bitte Sie, so dumm kann doch kein Gott sein.« Der Mann lächelte mokant.
    Seine Füße berührten jetzt den Schuh seines Gegenübers, eine starke Wärme durchrann ihn, aber er schob es auf seine innere Erregung.
    »Sagen wir es so: Die Menschheit ist Gott entglitten. Und was Christus einmal gepredigt hat – wer kümmert sich noch darum? Die Kirchen werden immer leerer …«
    »Das habe ich gesehen. Aber was soll Gott tun? Eine neue Sintflut?«
    »Nicht nötig. Früher oder später bringen wir uns alle gegenseitig um. Ein Griff zum roten Telefon, ein Knopfdruck, und der Atomkrieg fegt die Erde leer. Wenn Jesus heute wieder auf die Erde käme … er würde sich wundern.«
    »Das tut er. Was ist aus seinem Opfer für die Menschheit geworden …«
    Der Mann sah aus dem Fenster, erhob sich und griff nach seiner Aktentasche.
    »Gleich kommt Frankfurt, da muß ich raus«, sagte er. »War'n interessantes Gespräch. Übrigens, mein Name ist Baumann.«
    »Joshua.«
    »Das klingt fremdländisch.«
    »Es ist althebräisch.«
    »Sie sind Jude?«
    »Wie man's nimmt. Ich bin in Judäa geboren.«
    »Dann sind Sie – Verzeihung – auch ein armes Schwein. Dieser dauernde Knatsch in Palästina.«
    »Ja. Ich bin ein armes Schwein«, sagte der Weitgereiste. »Ich war es immer. Aber was soll Gott tun?«
    »Das fragen Sie mich? Früher hätte ich gesagt: ›Vertraut auf Gott, und das Himmelreich ist euer!‹ – Aber jetzt? Mit dem Ozonloch fängt es an … wo hört es auf?«
    »Früher?« Der Reisende sah den Mann mit der Aktentasche nachdenklich an.
    »Was sind Sie von Beruf?«
    »Jetzt bin ich Frühpensionist. Was ich einmal war? Ich war Pfarrer, Herr Joshua … bis ich nicht mehr glauben konnte, was ich predigte.« Der Zug fuhr in die riesige Bahnhofshalle von Frankfurt ein. »Gute Weiterfahrt.«
    Der Mann verließ das Abteil, aber an der Tür drehte er sich noch einmal um für eine Frage, die ihm plötzlich in den Sinn kam. Mit weiten Augen blickte er auf den Sitz am Fenster und preßte dann die Aktentasche an seine Brust.
    Der Platz war leer. Mit wem hatte er gesprochen, hatte er gegen die Wand geredet? Aber die Wand hatte Antwort gegeben, und sein Schuh hatte den Schuh des anderen berührt … »Das gibt es doch nicht!« sagte er laut, rannte den Gang entlang und verließ fluchtartig den Zug. Er stürzte in die nächstgelegene Kirche, erkannte am Kreuz das Antlitz seines Mitreisenden, fiel auf die Knie, betete in Demut und bat um Verzeihung.
    Joshua aber, nun, da der Tag seiner Geburt sich nahte, durchstreifte wie ein Wandersmann das Land. Er sah die im Lichterglanz strahlenden Städte und freute sich, aber er sah auch sich selbst als Marzipanfigur und das Bildnis seiner Mutter als Backform, wie er es schon in Fatima gesehen hatte. Dort hatte er eine solche Backform gekauft und vor den Augen der Nonnen mit einem Faustschlag zertrümmert. Jetzt war er allein in einer stillen Landschaft, wanderte einsam über Wald- und Feldwege und sah in der Abenddämmerung das Licht eines Gehöftes.
    Mißtrauisch öffnete sich auf sein Klopfen hin die Tür einen
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