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Endithors Tochter

Titel: Endithors Tochter
Autoren: David C. Smith & Richard L. Tierney
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sein schmerzverzerrtes Gesicht. »Was soll das alles?«
    »Offensichtlich hat sie nichts mit dieser Sache zu tun.« Aus Nalors Stimme klang unverkennbare Enttäuschung.
    Areel wirbelte zu ihm herum. »Verdammt!« brüllte sie. »Erklärt diese Unverschämtheit und dann verlasst unser Haus!«
    Nalor achtete nicht auf sie. »Marsch, los!« befahl er den Wächtern. »Nehmt ihn mit zum Palast und werft ihn in den Kerker! Ich kümmere mich um die Klageschrift. Schafft ihn hinaus!«
    »Halt!« schrie Areel. »Ihr werdet nicht …«
    Nalor knurrte, drehte sich wieder zu der Frau um. Heftig schlug er ihr ins Gesicht, dass sie gegen die Wand prallte. »Haltet den Mund!« Er hob drohend den Finger. »Oder ich werde einen Weg finden, Eure Mittäterschaft zu beweisen!«
    Die Soldaten zerrten Endithor auf den Korridor.
    »Nehmt die Sklavin mit!« befahl Nalor seinen Männern. »Wir brauchen sie als Zeugin. Hört auf, sie anzustarren, und gebt ihr lieber etwas, womit sie ihre Blöße bedecken kann! Habt ihr denn noch nie eine nackte Maid gesehen?«
    Hastig wickelte ein Stadtwächter die schluchzende und fröstelnde Lera in seinen Umhang, dann führte er sie den Gang entlang.
    In wenigen Augenblicken herrschte Stille in dem Raum – die Wächter hatten ihn verlassen, und die verstörten Dienstboten drückten sich an die Wände des Korridors. Areel stand ungläubig vor dem Altar, starrte auf die Blutflecken, auf den Dolch, auf die umgekippten Kerzen.
    Es war ein Traum – ein Alptraum. Anders konnte es, nicht sein!
    Es war nicht wirklich geschehen!
    Sie würde diesen Raum verlassen, den Korridor entlanggehen und wieder zurückkehren. Dann würde sich herausstellen, dass der Lärm, den sie zu hören vermeint hatte, nur ihrer Einbildung entsprungen war.
    Es war ein Alptraum – musste einer sein!
    Es war nicht wirklich geschehen!

 
1
     
    Lord Endithor blieb nicht lange im Kerker. Bis zum nächsten Morgen hatte Lord Graf Nalor die erforderlichen Schriftstücke aufgesetzt: den Haftbefehl, die Zeugenaussagen, die Anklage, die dem Hohen Gericht vorgelegt werden sollte. Als das Gericht an diesem Vormittag zusammentrat, wurde Lord Graf Nalor als erster angehört. Bündig trug er den Fall vor. Die neun Richter überflogen die von ihm vorbereiteten Schriftstücke und erachteten es nicht für notwendig, Lord Graf Endithor zu seiner Verteidigung zu rufen. Als seine Tochter mit einer Berufungsschrift, die der Schreiber eines niedrigen Gerichtsherrn unterzeichnet hatte, um das Wort bat, gestatteten die neun Richter es ihr – aber Nalor parierte jede ihrer Erklärungen, widerlegte alle Einwände, die sie gegen ein so schnelles, ungewöhnliches Verfahren erhob, und es gelang ihr nicht, sich durchzusetzen. Die Richter stimmten ab und alle kamen zum gleichen Urteil – ein jeder hob die schwarze Karte: den Tod für den Angeklagten. Areel fiel in Ohnmacht und musste von ihren Lakaien heimgebracht werden.
    Der Henker erhielt den Auftrag, den Galgen für eine öffentliche Hinrichtung auf dem Stadtplatz noch am selben Nachmittag aufzustellen. Nalor persönlich – in einer ungewöhnlichen Verkürzung der üblichen Prozedur – begab sich zu dem Hofkerker, der an das Gerichtsgebäude anschloss, um Endithor den Urteilsspruch zu verkünden.
    »Schließt Frieden mit den Göttern, mein Freund«, zischte er, als er vor den Gitterstäben von Endithors Zelle stand. »Die Entscheidung war einstimmig.«
    Endithor hob den Kopf aus den Schatten in der Ecke seiner Zelle, und das Weiße seiner Augen brannte wie Grablichter. »Das bezweifle ich nicht«, flüsterte er, »da alle Richter auf die eine oder andere Weise in Eurer Schuld stehen. Sie folgen Euren Anweisungen und werden belohnt. Aber auch ich tat, was Ihr sagtet – und nun soll ich gemartert und getötet werden.«
    »Ah, Ihr besteht immer noch auf Eurer Behauptung?« sagte Nalor kichernd, obgleich sich niemand sonst auf dem Kerkergang aufhielt – nicht einmal ein schlummernder Wächter –, der ihn der Behauptung Endithors widersprechen gehört hätte.
    »Ihr wisst, dass es die Wahrheit ist. Ich gehe als Unschuldiger zu den Göttern!«
    »Nun, wohl nicht völlig unschuldig«, erinnerte ihn Nalor. »Vergesst nicht, dass Ihr bereits dabei wart, ein Zauberritual durchzuführen. Die hohen Götter haben es gar nicht gern, wenn Uneingeweihte sie zu manipulieren suchen.«
    Stille setzte ein, in der nur Endithors schwerer Atem und ein schwaches Rasseln seiner Ketten zu hören war. Dann sagte er: »Ihr werdet der
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