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Empört Euch!

Titel: Empört Euch!
Autoren: Stéphane Hessel
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der vollen Souveränität auszuhebeln, auf das sich ein Staat berufen konnte, der sich auf seinem Territorium Verbrechen gegen die Menschlichkeit leistete – siehe Hitler, der als Herr im Hause über Völkermord entschied. Ohne den weltweiten Abscheu vor Nationalsozialismus, Faschismus, Totalitarismus und dabei auch, durch die französische Präsenz, die Ideale der Résistance wäre diese universelle Erklärung in dieser Form kaum zustande gekommen. Ich spürte, dass wir uns beeilen mussten und uns nicht täuschen lassen durften. So konnten wir versuchen, diese Werte gegen jene Siegermächte durchzusetzen, die ihre Zustimmung zu ihnen bloß heuchelten und gar nicht die Absicht hatten, sie loyal umzusetzen. [3]
    Ich möchte aus der »Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte« den Artikel 15 zitieren: »Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit.« Und Artikel 22: »Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit sowie unter Berücksichtigung der Organisation und der Mittel jedes Staates in den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind.« Und auch wenn diese Erklärung, da sie nicht völkerrechtlich verbindlich geworden ist, bloß deklaratorischen Charakter hat, ist sie dennoch seit 1948 nicht ohne Wirkung geblieben. Kolonialvölker haben sich in ihrem Unabhängigkeitskampf auf sie berufen, und sie hat den Freiheitskämpfern Mut gemacht.
    Erfreulicherweise hat sich die Zahl der Nichtregierungsorganisationen, der auf gesellschaftliche Veränderung hin orientierten Bewegungen wie Attac (Association for the Taxation of Financial Transactions for the Aid of Citizens), FIDH (Fédération internationale des Droits de l’homme – Internationale Menschenrechtsföderation), Amnesty International … – alle aktiv und leistungsstark – in den letzten Jahrzehnten vervielfacht. Eines ist klar: Wer heute etwas erreichen will, muss gut vernetzt sein und sich aller modernen Kommunikationsmittel bedienen.
    Den jungen Menschen sage ich: Seht euch um, dann werdet ihr die Themen finden, für die Empörung sich lohnt – die Behandlung der Zuwanderer, der in die Illegalität Gestoßenen, der Sinti und Roma. Ihr werdet auf konkrete Situationen stoßen, die euch veranlassen, euch gemeinsam mit anderen zu engagieren. Suchet, und ihr werdet finden!
    Meine Empörung in der Palästina-Frage
    Derzeit bin ich am meisten über die Verhältnisse in Palästina empört, im Gaza-Streifen, im Westjordanland. Meine Empörung gründet sich auf einen Aufruf mutiger Israelis aus dem Ausland: »Ihr, die ihr von uns geboren seid, seht, wohin unsere leitenden Männer und Frauen dieses Land geführt haben, nicht eingedenk der grundlegenden menschlichen Werte des jüdischen Glaubens.« Ich habe mich 2002 dorthin begeben und dann noch fünfmal, zuletzt 2009. Der Gaza-Bericht von Richard Goldstone vom September 2009 sollte Pflichtlektüre sein. In ihm klagt dieser südafrikanische Richter, selber Jude und bekennender Zionist, die israelische Armee an, während ihrer dreiwöchigen Operation »Gegossenes Blei« Akte begangen zu haben, »die mit Kriegsverbrechen und vielleicht, unter bestimmten Umständen, mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit vergleichbar sind«.
    Ich selbst habe den Gaza-Streifen erneut 2009 besucht. Unsere Diplomatenpässe haben meiner Frau und mir den Weg dorthin geöffnet. Wir wollten uns mit eigenen Augen überzeugen, ob die Aussagen des Berichts stimmten. Unsere Begleiter waren nicht zum Betreten des Gaza-Streifens, sondern nur des Westjordanlands, berechtigt. Wir haben auch die 1948 von der UNWRA (United Nations Relief and Works Agency für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten) eingerichteten palästinensischen Flüchtlingslager besichtigt, in denen mehr als drei Millionen aus ihrer Heimat geflohene und vertriebene Palästinenser auf eine immer fraglicher werdende Rückkehr warten.
    Was den Gaza-Streifen betrifft, so ist er für anderthalb Millionen Palästinenser ein Gefängnis unter freiem Himmel. Ein Gefängnis, in dem sie sich Tag für Tag als Überlebenskünstler bewähren. Mehr noch als die
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