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Empört Euch!

Titel: Empört Euch!
Autoren: Stéphane Hessel
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materiellen Zerstörungen wie diejenige des vom Roten Halbmond errichteten Spitals durch die Operation »Gegossenes Blei« haben sich uns die Bilder vom Lebensmut dieser Menschen eingeprägt, ihr Patriotismus, ihre Freude am Strand- und Badeleben, ihre unablässige Bemühung um das Wohlergehen ihrer zahllosen fröhlichen Kinder. Mit welchem Einfallsreichtum sie den ihnen auferlegten täglichen Mangel an so vielem zu bewältigen versuchen! Wie sie, weil ihnen der Zement fehlt, Ziegel brennen für den Wiederaufbau Tausender von den Panzern zerstörter Häuser. Tausendvierhundert Tote – Frauen, Kinder und Alte im Palästinenserlager – hat, so wurde uns bestätigt, diese israelische Armee-Operation »Gegossenes Blei« gekostet, gegen lediglich fünfzig verwundete Israelis. Ich teile die Schlussfolgerungen des südafrikanischen Richters. Dass Juden Kriegsverbrechen begehen können, ist unerträglich. Leider kennt die Geschichte nicht viele Beispiele von Völkern, die aus ihrer Geschichte lernen.
    Ich weiß: Unter der Hamas, die die letzten Wahlen gewonnen hat, wurden als Reaktion auf die Isolierung und die Blockade der Menschen im Gaza-Streifen Raketen gegen israelische Städte abgefeuert. Selbstverständlich halte ich den Terrorismus für inakzeptabel. Aber ist es wirklich realistisch zu erwarten, dass ein mit unendlich überlegenen militärischen Mitteln besetzt gehaltenes Volk gewaltlos reagiert?
    Nützt es der Hamas, Raketen auf Sderot abzufeuern? Gewiss nicht. Es ist der Sache der Hamas abträglich, aber angesichts der Verzweiflung der Menschen im Gaza-Streifen leider verständlich. In der Verzweiflung ist Gewalt ein bedauerlicher Kurzschluss zur Beendigung einer für die Betroffenen unerträglichen Situation. So gesehen ist Terrorismus eine Erscheinungsform von Verzweiflung. Hoffnungslosigkeit – dieses Negativwort – beinhaltet aber die Hoffnung. Die Hoffnungslosigkeit ist die Negation der Hoffnung. So verständlich, fast naturgemäß sie ist, kann man sie dennoch nicht akzeptieren, denn aus ihr kommt nichts, was eventuell wieder Hoffnung sprießen ließe.
    Wir müssen den Weg der
Gewaltlosigkeit gehen lernen
    Die Zukunft gehört der Gewaltlosigkeit und der Versöhnung der Kulturen – davon bin ich überzeugt. Das muss, das wird die nächste Etappe der Menschheit sein. Man kann – hier stimme ich mit Sartre überein – die Bombenwerfer nicht entschuldigen, aber verstehen. Sartre schrieb 1947: »Ich gebe zu, dass Gewalt, in welcher Form sie sich auch immer äußert, ein Scheitern ist. Aber es ist ein unvermeidbares Scheitern, weil wir in einer Welt der Gewalt leben; und wenn es wahr ist, dass der Rückgriff auf Gewalt gegen Gewalt sie zu verewigen droht, so ist auch wahr, dass sie das einzige Mittel ist, sie enden zu lassen.« [4]
    Dem füge ich hinzu: Ein noch besseres Mittel gegen Gewalt ist Gewaltlosigkeit. Es geht nicht an, nach Sartres Beispiel im Namen des von ihm postulierten Prinzips Terroristen zu unterstützen, sei es während des Algerienkriegs oder 1972 beim Attentat gegen israelische Athleten während der Münchner Olympischen Spiele. Damit kommt man nicht weiter, und Sartre selbst hat sich am Ende seines Lebens gefragt, welchen Sinn Terrorismus habe, und seine Berechtigung bezweifelt. »Gewalt wirkt nicht«, ist eine wichtigere Erkenntnis, als zu wissen, ob ihre Vollstrecker zu verurteilen sind oder nicht. Terrorismus wirkt nicht. Wirksamkeit setzt gewaltlose Hoffnung voraus. Gewalttätige Hoffnung kommt allenfalls in der Dichtung Guillaume Apollinaires vor – »Wie brutal doch die Hoffnung ist« –, aber nicht in der Politik. Im März 1980, drei Wochen vor seinem Tod, erklärte Sartre: »Man muss zu erklären versuchen, warum die gegenwärtige Welt, die schrecklich ist, nur ein Augenblick im langen geschichtlichen Ablauf ist, dass die Hoffnung immer schon eine der großen Triebfedern der Revolutionen und Aufstände war, und wie sehr spüre ich noch, dass die Hoffnung meine Vorstellung von der Zukunft ist.« [5]
    Wir müssen begreifen, dass Gewalt von Hoffnung nichts wissen will. Die Hoffnung ist ihr vorzuziehen – die Hoffnung auf Gewaltlosigkeit. Das ist der Weg, den wir einschlagen müssen. Wenn es gelingt, dass Unterdrücker und Unterdrückte über das Ende der Unterdrückung verhandeln, wird keine terroristische
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