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Emotionen. Gefühle literarisch wirkungsvoll einsetzen

Emotionen. Gefühle literarisch wirkungsvoll einsetzen

Titel: Emotionen. Gefühle literarisch wirkungsvoll einsetzen
Autoren: Susanne Konrad
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Familienmitglied, das neun Jahre lang nicht gesprochen hat, vermutlich nicht eine so folgenreiche Mitteilung so selbstverständlich äußern wie hier in der Erzählwirklichkeit des Romans. Im wirklichen Leben wäre das alles wesentlich komplizierter. Durch magische Einflüsse können also drastische Veränderungen und Entwicklungen erfolgen, die in der Alltagswirklichkeit kaum möglich wären.
    Wie funktioniert das? Die Realität im Roman ist fiktiv, selbst wenn er auf wirklichen Ereignissen beruht. So ist es auch mit den Gefühlen: Gefühle können empfunden worden sein, sie können während des Schreibens, und wenn es überzeugend erzählt wurde, auch während des Lesens – »als echt« empfunden werden, dennoch bleiben sie in den Text bewusst eingesetzte Konstruktionen. Gefühle können durch verschiedene Situationen, Personen oder Gegenstände ausgelöst werden. Der Sprung von der Realität von Dingen und Gestalten zu fantastischen Figuren ist nie sehr weit. Die emotionale Plausibilität kann auch von einem faktisch völlig unrealistischen Wesen verkörpert werden. Davon profitiert fantastische Literatur. Hier werden märchenhafte Gestalten und ganze Völker erfunden, die aus dem Wissen von Märchen und Mythen heraus gestaltet werden, es werden Territorialkämpfe ausgetragen, ja ganze Universen entworfen.
    Wie ein Zaubermittel wirkt in der Reihe Harry Potter , die Joanne K. Rowling so berühmt gemacht hat, die gelungene Verknüpfung von Gefühl und Magie. Harry und seine Freunde haben übermenschliche Kräfte, sie sind jedoch begrenzt und machen sie nicht unangreifbar, sondern geben ihnen nur die Fähigkeit, in bestimmten Situationen wirkungsvoll zu handeln. Ihre Zauberkräfte sind eng verbunden mit ihren emotionalen Fähigkeiten wie der Beeinflussung anderer Menschen, dem Lesen von Gedanken, dem Ausströmen von positiven und negativen Energien.
    Ein besonders treffendes Beispiel dafür gibt es im dritten Band Harry Potter und der Gefangene von Askaban (1999): Ein magisches Unterrichtsfach heißt »Verteidigung gegen die dunklen Künste«. Im Schrank sitzt ein seltsames Wesen: Ein Irrwicht. Ein »Irrwicht ist ein Gestaltwandler. (…) Er kann die Gestalt dessen annehmen, vor dem wir, wie er spürt, am meisten Angst haben.« Aus der Tiefenpsychologie wissen wir, dass Angst Gestalt annimmt in dem, was wir am meisten fürchten. Manche Menschen unterscheiden zwischen Angst und Furcht: Furcht besteht vor dem konkreten Angstauslöser, Angst hingegen ist das Gefühl, das sich seine Manifestationen sucht. Bei Harry Potter kann sich der Angstmacher als magisches Wesen in das von jedem einzelnen Schüler am meisten gefürchtete verwandeln. Er wird zu einem konkreten Wesen, das dieses eigentlich emotionale Phänomen als Fantasiegestalt verkörpert. Und so, wie Humor schon manch unbegründete Angst vertreiben half, lautete der Gegenzauber, der den Irrwicht vertreibt, hier: Riddikulus! »Was einem Irrwicht wirklich den Garaus macht, ist nämlich Gelächter.« Den Zauber zu beherrschen und anzuwenden, erfordert jedoch emotionale Intelligenz. Die Beherrschung des Zauberspruches genügt nicht, der junge Zauberer muss zusätzlich seine Angst überwinden und der Herausforderung entgegentreten. Die Fantastik hier entspricht den Erkenntnissen realer Psychologie: Man muss Ängste überwinden – und dazu muss er sogar gegen sich selbst kämpfen. Dazu gehört auch, auszusprechen, wovor man sich am meisten fürchtet, und, wenn man seiner personifizierten Angst begegnet, ihr einen positiven Gedanken entgegenzuhalten. Genau das muss der Junge Neville leisten, um den Irrwicht zu bezwingen. Die Fähigkeiten, die Harry Potter seinen Freunden gegenüber zum Teil überlegen macht, sind nicht seine höhere Intelligenz, sondern die Intensität seiner Zauberkräfte. Er hat sozusagen Fähigkeiten von »höherer emotionaler Dichte«. Alles, was die Zauberschüler lernen, setzt positive emotionale Fähigkeiten wie Selbstbeherrschung, Einfühlungsvermögen, Fantasie und psychische Energie voraus.
    Wenn Sie einen Text mit magischen Elementen schreiben möchten, achten Sie darauf, dass der Text mehr Überzeugungskraft erhält, wenn die magischen Gestalten oder seltsamen Ereignisse mit Gefühlen einhergehen, die möglich erscheinen und nachvollziehbar sind.
Anregung
    Erfinden Sie Gestalten, die Ihren eigenen emotionale Erfahrungen entsprechen: einen Angstmacher, einen Provokateur, der Wut auslöst, oder ein Wesen, das Glück verbreitet. Erzählen Sie,
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