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Emotionen. Gefühle literarisch wirkungsvoll einsetzen

Emotionen. Gefühle literarisch wirkungsvoll einsetzen

Titel: Emotionen. Gefühle literarisch wirkungsvoll einsetzen
Autoren: Susanne Konrad
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im Nachhinein nicht verantworten möchte. Auch auf dieser Basis kann Scham entstehen, ebenso wie das, was man ist oder zu was man sich entwickelt hat, zu Scham führen kann.
    Moralische Gefühle sind eng an die Werte der jeweiligen Kultur und Epoche gebunden. Für die Griechen im Altertum war das beschämendste Verbrechen der Vatermord, für uns sind es heute Missbrauch und der Mord an Kindern. Ein Schuldgefühl setzt ein schlechtes Gewissen, das Empfinden, etwas Falsches getan zu haben, voraus. Sich für etwas zu schämen, verbindet sich mit dem Gefühl, bloßgestellt, nackt, der Verachtung anderer preisgegeben zu sein. Schamgefühle stehen in vielen Kinder- und Jugendgeschichten im Mittelpunkt. Ein Lehrer stellt einen Schüler für einen Fehler oder ein unangemessenes Verhalten vor den Mitschülern bloß. Das Kind schämt sich, vor der ganzen Klasse entlarvt oder lächerlich gemacht worden zu sein. Später, als Erwachsener, wird es sich daran erinnern, und selbst nach Jahren wird es die Scham wie damals empfinden. Auch Sexualität ist oft ein Grund für Schamgefühle – verbunden mit zu viel Freizügigkeit oder ungewollter Enthaltsamkeit.
    In dem Roman homo faber von Max Frisch (1957), der im 20. Jahrhundert angesiedelt ist, wird Schuld und Scham sehr deutlich thematisiert: Ein Mann, der mitten im Leben steht, wird von einer früheren Schuld eingeholt. Walter Faber, fünfzigjährig, Ingenieur, glaubt, dass technischer Verstand ausreicht, um das Leben zu bewältigen. Seine menschliche Schuld aus der Vergangenheit bestand darin, dass er seine Freundin Hanna, die ein Kind erwartete, verlassen hat, weil sie Halbjüdin war. Kern der Geschichte ist ein schicksalhaftes Ereignis, das die Konfrontation mit jener alten Schuld auslöst. Auf einer Schiffsreise begegnet er einer jungen Frau mit Pferdeschwanz, die ihn fasziniert. In Paris sucht Faber erneut eine Begegnung mit ihr. Nicht ahnend, dass Sabeth seine Tochter ist, kommt es zu sexuellen Begegnungen. Sie setzen die Reise gemeinsam fort. Die Schuld holt Faber ein. In Griechenland wird Sabeth von einer Schlange gebissen und stirbt an den Folgen eines Sturzes. Im Krankenhaus begegnen sich Walter und Hanna wieder. Nun hat er das Leben seiner Jugendfreundin ein zweites Mal zerstört.
    Der Roman wird als Bericht in vielen Rückblenden erzählt. Zum Zeitpunkt des Erzählens weiß der Protagonist zwar um seine Schuld, will sie aber nicht wahrhaben. Ständig rechtfertigt er sich, immer wieder zweifelt er daran, dass Sabeth seine Tochter ist:
    »Ich war nicht verliebt in das Mädchen mit dem rötlichen Rossschwanz, sie war mir aufgefallen, nichts weiter, ich konnte nicht ahnen, dass sie meine Tochter ist, ich wusste ja nicht einmal, dass ich Vater bin. Wieso Fügung?«
    Aber sein Unwissen, seine Ahnungslosigkeit entbinden ihn nicht von der Schuld. Er sinniert und hadert über Zufall und Schicksal:
    »Hanna hat immer schon gewusst, dass ihr Kind sie einmal verlassen wird; aber auch Hanna hat nicht ahnen können, dass Sabeth auf dieser Reise gerade ihrem Vater begegnet, der alles zerstört.«
    Die Einsicht von Schuld und die Schuldgefühle selbst sind jedoch keine Sühne, ein Wiedergutmachen ist nicht möglich.
    Schuldgefühle werden oft metaphorisch durch ein »dunkles Geheimnis« dargestellt, etwas aus der Vergangenheit, das von anderen entdeckt oder offenbart wird, weil es mit einem anderen Ereignis, das davon eigentlich unabhängig ist, zusammentrifft.
    Überlegen Sie: Welche Schuld hat Ihr Protagonist in der Vergangenheit auf sich geladen? Wie lebt er heute? Welches Unglück könnte ihm widerfahren? Wie lässt sich dieses Unglück mit seinem Verhalten oder der Tat von damals in Verbindung bringen?
    In der ernsten Literatur geht es oft um Untiefen in unserer Seele, die durch ein schuldhaftes Ereignis an die Oberfläche kommen. In der Unterhaltungsliteratur dagegen sind Schuld und Unschuld auf Positiv-und Negativhelden aufgeteilt. Lajos Egri empfiehlt in seinem Klassiker Literarisches Schreiben , nicht nur einen Protagonisten, sondern stets auch einen Gegenspieler, der den Helden herausfordert und bedrängt, auftreten zu lassen. Im Antagonisten sollten alle schlechten Eigenschaften, die mit Scham- und Schuldgefühlen verbunden sein können wie beispielsweise Skrupellosigkeit und Berechnung, Intriganz, Grausamkeit versammelt sein. Dabei unterscheidet man zwei Tätertypen: Die einen handeln eher spontan aus einem Affekt heraus, getrieben von plötzlicher Rachsucht oder
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