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Emotionen. Gefühle literarisch wirkungsvoll einsetzen

Emotionen. Gefühle literarisch wirkungsvoll einsetzen

Titel: Emotionen. Gefühle literarisch wirkungsvoll einsetzen
Autoren: Susanne Konrad
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gut schlafe, gleich einen Chinesen an mein Bett treten sehen.‹«
    Das Motiv des toten Chinesen wird nur beiläufig eingefügt, aber es wird im Laufe der Erzählung immer wieder aufgegriffen. Wenig später erscheint nämlich der Chinese als Bild wieder: »Es befanden sich hier vier einfenstrige Zimmer, alle gelb getüncht; gerade wie der Saal, und ebenfalls ganz leer. Nur in einem standen drei Binsenstühle, die durchgesessen waren, und an die Lehne des einen war ein kleines, nur einen halben Finger langes Bildchen geklebt, das einen Chinesen darstellte, blauer Rock mit gelben Pluderhosen und einen flachen Hut auf den Kopf.«
    Dieses Bild verfolgt Effi bis in die Träume. Von ihrem Mann wird sie oberflächlich über diese Ängste hinweggetröstet. Zu einem späteren Zeitpunkt beginnt sie zu ahnen, dass ihr Mann sie mit dem unterschwelligen Schüren von Ängsten klein halten und beherrschen will. Aber da ist es schon zu spät: Effi, inzwischen junge Mutter, erliegt der Verführung durch Major Crampas, womit ihr späteres Schicksal bestimmt ist.
    Effi Briest ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein Angstmotiv eingeführt und langsam aufgebaut wird, um spätere tragische Ereignisse anzukündigen. Das wiederkehrende Angstmotiv reflektiert gleichzeitig auch den psychischen Zustand von Effi Briest, deren Umgebung und Leben nach außen hin heil zu sein scheint. Aber die Bedrohung wird bereits empfunden, und im Inneren der jungen Frau breitet sich schon Angst und Unbehagen aus. Das Angstmotiv dient auch dazu, die Willkür des Angstmachers, ihres Mannes, zu zeigen, denn der Chinese ist gar nicht der wahre Angstauslöser, Effi überträgt ihre diffuse Angst nur auf ihn. Die junge Frau ist auf dem Landgut sehr einsam und von ihrem Mann abhängig, und ihre Angst hat ihren Ursprung darin, dass sie fürchtet, ihr Leben nicht mehr bestimmen zu können.
    Nicht zuletzt zeigt das Motiv des Chinesen die historische Entwicklung von Charakteren in der Literatur und deren Einsatz, um damit Emotionen zu wecken. Heute wirken Menschen mit anderer Hautfarbe und Herkunft keinesfalls mehr so exotisch und verunsichernd wie damals auf ein behütetes Mädchen aus dem 19. Jahrhundert.
    Als Angstmotive können Autoren alles auftreten lassen, was dunkle Fantasien auslöst oder bedrohlich und angsteinflößend wirkt: Dunkelheit, Leere, Enge, Tiefe, Druck, Farben, körperliche Entstellung, unerklärliche Begegnungen Oft werden solche Motive symbolisch eingesetzt, um eine tiefliegendere Angst, um die es in der Geschichte eigentlich geht, anzudeuten. Solche Motive können sein:
    •ein morsches Schiff
    •ein leerer Zug oder Bus
    •ein Schlüsselloch
    •ein Brandfleck
    •ein kreisendes Flugzeug
    •ein Messer
    •eine Säge
    •eine schwere Tür
    •ein leeres Zimmer
    •ein gotisches Fenster
    •ein Gesicht ohne Augen
    •eine Maske
    •eine Puppe
    •ein Ventilator hinter einer Gitterwand
    •ein enger Aufzug
    Wenn Sie über Angst schreiben, Horror und Schrecken spürbar machen wollen, dann vergessen Sie auf keinen Fall die Erleichterung, die Entspannung. Der Leser ist mit Ihrer Figur verbunden und identifiziert sich womöglich ständig mit ihr. Literarische Spannung lebt von dem Wechsel zwischen Hochspannung und Entspannung. Dies gilt ganz besonders für die Gefühle wie Angst und Erleichterung.
Anregung
    Entscheiden Sie sich für eines der Angstmotive. Schreiben Sie eine Geschichte, in der Sie dieses Motiv mehrfach auftreten lassen. Führen Sie es unauffällig ein und lassen Sie es an unerwarteter Stelle wiederkehren.
    Überlegen Sie, ob sich die Angst auf schreckliche Weise bestätigt oder ob es einen Ausweg und Rettung geben kann.

Schuld und Scham
    Der Grund für Schuld- und Schamgefühle sind oft gesellschaftliche Normen und Regeln, noch dazu wenn Sozialnormen und private Gefühle sich nicht vereinbaren lassen. Schuld und Scham sind immer schon große Themen erzählender Literatur. Sie können sich mit geschichtlicher Aufarbeitung verknüpfen, aber auch mit individualpsychologischen Prozessen. In Theaterstücken und Ehebruchsromanen des 19. Jahrhunderts wie Anna Karenina (Leo N. Tolstoi), Madame Bovary (Gustave Flaubert) oder Effi Briest (Theodor Fontane) ist die Frage nach der Schuld von großer Bedeutung.
    Scham und Schuld, erklärt der Philosoph Richard Wollheim, sind moralische Gefühle. Oft haben sie ihren Ursprung im Entstehen und Vergehen von Wünschen oder Handlungen, die ethisch oder gesellschaftlich nicht akzeptiert werden und die man
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